Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung und Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Vergangenheit. verspätete Mitteilung Arbeitsaufnahme. Einkommenserzielung. Kausalität. Verfassungsmäßigkeit des § 67 SGB 2. fehlender Antrag auf Erlass der Rückforderung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rückforderung einer Leistung gemäß § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10 iVm § 330 Abs 3 S 1 SGB 3 setzt nicht nur die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und die schuldhafte Verletzung der Mitteilungspflicht durch den Leistungsempfänger, sondern auch einen Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Leistung voraus.
2. Die Übergangsregelung in § 67 SGB 2 verstößt nicht gegen Regelungen des Grundgesetzes, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG.
3. Nicht bereits jedes Mal dann, wenn der Widerspruchsführer nicht mit seinen Einwänden durchdringen kann, kann in den Widerspruch ein konkludenter Antrag auf eine Erlassentscheidung hineingelesen werden.
4. Eine allgemeine Handlungspflicht der Behörde, über einen etwaigen Erlass von Amts wegen zu entscheiden, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut von § 44 SGB 2. Es kann allerdings Fälle geben, in denen die zuständige Behörde Anhaltspunkte für eine Erlassentscheidung hat und demzufolge gehalten sein kann, Sachverhaltsermittlungen durchzuführen oder möglicherweise sogar eine Erlassentscheidung zu treffen. Anhaltspunkte in diesem Sinne sind allerdings nicht bereits bei jedem für eine Erlassentscheidung denkbaren Gesichtspunkt gegeben. Damit die Ausnahmevorschrift des § 44 SGB 2 nicht zur Regelvorschrift wird, ist vielmehr zu fordern, dass gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass eine (Teil-)Erlassentscheidung ergehen kann.
5. Eine im Einzelfall verzögerte Rückforderungsangelegenheit ist als solche noch nicht geeignet, Anhaltspunkte in dem beschriebenen Sinne für eine Erlassentscheidung zu bilden. Es müssen vielmehr weitere Aspekte, wie zum Beispiel eine erhebliche wirtschaftliche Belastung in Folge des durch die Behörde vermeidbaren Umfangs der Rückforderung, hinzutreten, damit ein Tätigwerden der Behörde im Hinblick auf eine etwaige Erlassentscheidung angezeigt ist.
Normenkette
SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2-3, § 24 Abs. 1, § 33 Abs. 1, § 50 Abs. 1 S. 1; SGB II §§ 67, 9 Abs. 2 S. 1, § 11 Fassung: 2006-07-20, § 19 S. 1 Nr. 2 Fassung: 2006-07-20, S. 2 Fassung: 2006-07-20, § 28 Fassung: 2006-07-20, § 30 Fassung 2005-08-14, § 40 Abs. 1 S. 1 Fassung 2005-8-14, Abs. 2 S. 1 Fassung 2005-08-14, S. 2 Fassung: 2006-03-24, § 44; SGB III § 330 Abs. 3 S. 1; AFG §§ 151, 152 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1; SGG § 101 Abs. 2, § 144 Abs. 4, § 158 S. 1
Tenor
I. Die Berufung des Klägers zu 2 gegen das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 15. Dezember 2010 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Berufung des Klägers zu 1 gegen das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
III. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren sind nicht erstattungsfähig. Für das Klageverfahren verbleibt es bei der Kostenentscheidung in Ziffer II des Urteils des Sozialgerichtes Dresden vom 15. Dezember 2010.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Mit diesem wurden bewilligte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 3.363,93 EUR zurückgefordert. Nach einem Teilanerkenntnis des Beklagten beläuft sich der Rückforderungsbetrag nunmehr noch auf 1.369,54 EUR.
Die ARGE D… (im Folgenden: ARGE) bewilligte dem 1969 geborenen, erwerbs-fähigen Kläger zu 1, seiner Ehefrau und deren 2004 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2, mit Bescheid vom 24. August 2005, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum von 1. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 in Höhe von 1.136,96 EUR. Hierbei wurde auf Bedarfsseite unter anderem eine Grundmiete in Höhe von 406,24 EUR (aus dem Mietvertrag) sowie Vorauszahlungen auf Nebenkosten in Höhe von 83,80 EUR und Heizkosten in Höhe von 60,30 EUR (aus der Betriebskostenabrechnung), ohne Abzug einer Warmwasserpauschale, in Ansatz gebracht. Als Einkommen wurde bei der Ehefrau des Klägers zu 1 das Erwerbseinkommen aus einer in zeitlichem Umfang beschränkten Erwerbstätigkeit und aus Erziehungsgeld berücksichtigt, was bei ihr ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 136,21 EUR ergab. Beim Kläger zu 2 wurde Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR berücksichtigt.
Mit dem am 20. Oktober 2005 eingegangenen Schreiben unterrichtete der Kläger zu 1 die ARGE, dass seine Ehefrau ab dem 19. September 2005 eine Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte aufgenommen habe und demzufolge kein Erziehungsgeld mehr beziehe. Er bat um die Prüfung des Bewilligungsbescheides. Nach der beigefügten Einkommensbescheinigung betrug im Oktober 2005 ihr Arbeitsentgelt 1.300,00 EUR brutto (= 953,00 EUR netto). Daraufhin erließ die ARGE am 8. Mä...