Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungsrücknahmefiktion. Betreibensaufforderung. Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses. Nichtbetreiben des Verfahrens. Datum der Zustellung bei unterschiedlichen Datumsangaben im Empfangsbekenntnis
Leitsatz (amtlich)
1. Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, die Anlass für eine Betreibensaufforderung des Gerichts sein können, bestehen insbesondere dann, wenn der Kläger oder Berufungsführer seine prozessualen Mitwirkungspflichten verletzt hat, indem er auf eine prozessleitende Verfügung mit der Aufforderung zu bestimmtem Tatsachenvortrag nicht reagiert hat.
2. Wenn der Kläger bzw Berufungsführer innerhalb der in der Betreibensaufforderung gesetzten Frist ohne Nachholung von Tatsachenvortrag lediglich mitteilt, die Klage bzw Berufung werde weiterverfolgt, und anzweifelt, dass das SGG eine Rücknahmefiktion vorsieht, ist das Verfahren nicht betrieben und gilt die Klage bzw Berufung als zurückgenommen.
3. Enthält das Empfangsbekenntnis eines Rechtsanwalts unterschiedliche Datumsangaben für den Eingang des zugestellten Schriftstücks in der Kanzlei und die persönliche Kenntnisnahme durch den Rechtsanwalt, ist das Datum der Zustellung derjenige Tag, an dem der Rechtsanwalt persönlich Kenntnis genommen hat.
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren am 25. Oktober 2014 durch fingierte Berufungsrücknahme geendet hat.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Berufungsverfahren die Berufungsrücknahmefiktion nach § 156 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingetreten ist.
Die in der … Str. ... in P… lebende Klägerin zu 1) ist die Mutter der am … 2006 geborenen Klägerin zu 2). Diese lebt bei ihrem Vater in der …-Str. 66 in P…. Beide Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Über den Aufenthalt der Klägerin zu 2) hatten sie sich formlos in der Weise geeinigt, dass die Klägerin zu 1) die Klägerin zu 2) jeden Dienstag und Donnerstag um 15 Uhr aus dem Kindergarten abholen und sie bis gegen 19 Uhr betreuen durfte. Außerdem sollte die Klägerin zu 2) jedes zweite Wochenende von Freitag 15 Uhr bis Sonntag 19 Uhr bei der Klägerin zu 1) verbringen. Zu den tatsächlichen Aufenthaltstagen der Klägerin zu 2) bei ihr hat die Klägerin zu 1) eine Aufstellung vorgelegt, aus der sich Abweichungen von der generellen Regelung ergeben.
Die Klägerin zu 1) steht im Bezug von Arbeitslosengeld II. Für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.03.2012 übernahm der Beklagte die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in voller Höhe. Im Vorverfahren half er dem das Ziel der Gewährung von Regelleistungen für die Klägerin zu 2) verfolgenden Widerspruch insoweit ab, als er anteilige Regelleistung für je vier Kalendertage in den Monaten Oktober, November, Februar und März sowie je fünf Kalendertage in den Monaten Dezember und Januar gewährte. Er verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R -, nach dem Regelleistung nur für Kalendertage, an denen sich das Kind mehr als 12 Stunden beim umgangsberechtigten Elternteil aufhält, zu gewähren ist.
Nachdem das Sozialgericht Chemnitz die auf höhere Regelleistungen für beide Klägerinnen und Mehrbedarf der Klägerin zu 1) wegen Alleinerziehung gerichtete Klage abgewiesen hatte, haben die Klägerinnen Berufung eingelegt, die im Senat zunächst unter dem Aktenzeichen L 2 AS 381/13 anhängig gewesen ist. Im Berufungsverfahren begehren sie höhere Regelleistungen - die gesetzlichen seien verfassungswidrig, zudem stünden der Klägerin zu 2) Regelleistungen für die Freitage aus der Betreuungszeit der Klägerin zu 1) zu, weil sich die Klägerin zu 2) an diesen 9 Stunden bei der Klägerin zu 1), dagegen nur 7 Stunden bei ihrem Vater aufhalte - und für die Klägerin zu 1) Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II wegen der Kosten, die ihr für die Verpflegung der Klägerin zu 2) an Dienstagen und Donnerstagen, an denen sie sich in diesem Haushalt aufgehalten hat, entstanden sind. Sofern andere Anhaltspunkte bzw. konkrete Kostenbelege nicht vorliegen, sei der Sonderbedarf je Mahlzeit der Klägerin zu 2) zu schätzen.
Der Berichterstatter hat die Klägerinnen mit Verfügung vom 23.04.2014 aufgefordert klarzustellen, für welche der in der Aufstellung der Klägerin zu 1) genannten Tage Verpflegungsbedarf für die Klägerin zu 2) eingeklagt wird. Dieser solle auch beziffert werden. Zumindest sollten Grundlagen für die von den Klägerinnen geforderte gerichtliche Schätzung angegeben werden. Auch auf eine Mahnung vom 11.06.2014, mit der eine Frist bis zum 18.07.2014 gesetzt worden ist, haben die Klägerinnen nicht reagiert. Am 22.07.2014 hat der Berichterstatter eine Betreibensaufforderung nach § 156 Abs. 2 SGG mit einer Anfrage gleichen Inhalts wie am 23.04.2014 erlassen. In ihr wird auch darauf hingewiesen, dass die Berufung als zurückgenommen gilt, wenn die Berufungskläger das Verfahr...