Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des § 131 Abs 5 SGG auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Leitsatz (amtlich)
1. § 131 Abs 5 SGG ist auch auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anwendbar.
2. Soweit nach § 131 Abs 5 SGG Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (wie bei Statusfeststellungen im Schwerbehindertenrecht) aufzuheben sind, ist eine isolierte Aufhebung allein des Widerspruchsbescheides ausgeschlossen.
3. Abweichend von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung begründet die Notwendigkeit, ein medizinisches Gutachten mit eigener Untersuchung durch den Sachverständigen einzuholen, einen erheblichen Ermittlungsaufwand iS des § 131 Abs 5 S 1 SGG.
4. Wird die Entscheidung nach § 131 Abs 5 SGG rechtskräftig, ist die Behörde infolge der Rechtskraft auch inhaltlich an die vom Gericht für erforderlich gehaltene Ermittlung nach Art und Umfang gebunden und muss zB ein Gutachten nach eigener Untersuchung durch ihren ärztlichen Dienst einholen, wenn das Gericht eine Sachaufklärung in dieser Form für erforderlich gehalten hat.
5. Bei Feststellung des Merkzeichens "aG" ist eine Entscheidung nach § 131 Abs 5 SGG - vorbehaltlich seiner weiteren Voraussetzungen - auch dann gerechtfertigt, dh ein Ermittlungsausfall anzunehmen, wenn der Behörde inhaltlich zwar ausreichende, aber veraltete und damit zeitlich unverwertbare Befunde vorliegen sowie die (wenigen) aktuellen Befunde nicht alle für die Beurteilung der Gehfähigkeit zumindest potentiell relevanten Behinderungen erfassen.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 15.06.2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die Zurückverweisung der Sache an ihn zum Zwecke erneuter Sachverhaltsermittlung hinsichtlich des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der 1925 geborene, derzeit 80 Jahre alte Kläger war bereits nach dem Recht der DDR seit 1947 wegen einer Hirnverletzung als schwerbeschädigt anerkannt. Zuletzt wurden bei ihm aufgrund des Bescheides des Beklagten vom 08.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2002 ab 11.05.2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die Merkzeichen "G" und "B" wegen
1. Funktionsbehinderung beider Knie- und Hüftgelenke, Knorpelschäden beider Kniegelenke,
2. Hirndurchblutungsstörungen, Koordinationsstörungen,
3. Bewegungseinschränkung am linken Handgelenk, Narbe am linken Handgelenk,
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule,
5. Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk,
festgestellt. Nachdem in der Folge ein Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 29.07.2003 abgelehnt worden war, beantragte der Kläger am 08.03.2004 die Erhöhung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "aG", weil er sich seit einem Unfall im Januar 2001 nur noch mit Gehhilfe und unter starken Schmerzen etwa 150 m zu Fuß fortbewegen könne.
Der Beklagte zog zur Prüfung dieses Antrags ergänzend zu den in der Akte befindlichen medizinischen Unterlagen aus den vorangegangenen Verwaltungsverfahren einen Befundbericht von Dr. med. O1, Facharzt für Orthopädie, vom 17.03.2004 bei, der Befunde aus Februar und März 2003 mitteilte (Blätter 171/172 des beigezogenen Verwaltungsvorgangs). Hierzu holte der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 27.07.2004 ein, wonach der Befund des Orthopäden aus Februar und März 2003 keine neuen Erkenntnisse bringe und die bereits in den vorangegangenen Verwaltungsverfahren getroffene Einschätzung belege. Der Kläger laufe mit einem Gehstock, so dass ihm das Merkzeichen "aG" nicht zustehe. Der Gesamt-GdB betrage daher weiterhin 70 mit den Merkzeichen "G" und "B".
Darauf gestützt lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.08.2004, zur Post aufgegeben am gleichen Tag, die Erhöhung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab.
Mit dem dagegen am 07.09.2004 erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass sich seine Gehfähigkeit infolge der Knieschäden, der ausgeprägten Lendenwirbelschmerzen und der Schwindelerscheinungen mit Übelkeit bereits bei geringer Belastung deutlich verschlechtert habe und er wegen der Schädigung seines linken Armes eine Gehhilfe nicht benutzen könne, so dass er nach etwa 20 m eine Pause machen müsse und außerhalb seines Autos kaum bewegungsfähig sei.
Ergänzend legte er ein Attest von Dr. med. O1 vom 15.06.2004 mit dem Vermerk "Privatzweck zur Vorlage Vers." vor, wonach wegen einer Kriegsverletzung der linken Hand ein Gehstock nicht benutzt werden könne und die Mobilität daher erheblich eingeschränkt sei, weshalb eine Begutachtung erfolgen müsse (Blatt 181 des beigezogenen Verwaltungsvorgangs). Der Beklagte holte daraufhin einen weiteren Befundbericht von Dr. med. O1 vom 14.09.2004 ein, wonach anamnestisch eine unveränderte Schwellung des rechten Kniegelenks seit dem Unfall 2001 bestehe und ein Gutachten benö...