Verfahrensgang
SG Chemnitz (Urteil vom 01.01.1998; Aktenzeichen S 7 KN 159/99 U) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz insoweit aufgehoben, als Verletztenrente für die Zeit vor dem 01.01.1998 zugesprochen wurde.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Stimmbandkarzinoms nach Einwirkung ionisierender Strahlen als Berufskrankheit.
Der am … geborene Kläger arbeitete bei der SAG/SDAG W. von September 1951 bis August 1952 als Zechenarbeiter unter Tage im Objekt 100, von August 1957 bis August 1958 als Lokbegleiter unter Tage im Objekt 9 Schacht 66 und von Oktober 1958 bis zum 31.12.1977 als Hauer im Objekt 9 in den Schächten 366 und 37.
Auf Grund eines Pressluftwerkzeugschadens wurde im Jahre 1977 das Berufsunfähigkeitsverfahren eingeleitet; ihm wurde ein anderer Arbeitsplatz als Betriebshandwerker zugewiesen und er erhielt Übergangsrente von der Sozialversicherung ab dem 01.08.1977 (Rentenbescheid des FDGB-Zentralvorstands IG Wismut vom 03.01.1978).
Im August 1988 wurde durch Laryngoskopie im Bereich des rechten Stimmbandes ein Plattenepithelkarzinom nachgewiesen. Es erfolgte am 06.09.1988 die operative Entfernung des rechten Stimmbands, anschließend eine Behandlung mit Bestrahlung. Zu Rezidiven kam es nicht; der Kläger ist allerdings infolge der Operation seitdem sprachbehindert.
Am 20.10.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung der Stimmbanderkrankung als Berufskrankheit.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten errechnete daraufhin unter Berücksichtigung der Berufungsanamnese und unter Zugrundelegung der Daten des Forschungsvorhabens „Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR” (vgl. Veröffentlichung des HVBG vom Dezember 1998, ISBN 3-88383-524-2) eine kumulative Strahlenbelastung von 263,17 WLM (working level months) hinsichtlich der Radonfolgeprodukte, eine Exposition gegenüber langlebigen Radionukliden (LRN) von 25.06 KBqh/m³ sowie eine Gammadosis von 370,08 mSv. Hieraus errechnete sich eine kumulative Äquivalentdosis (Dosis in Körpergeweben, summiert über alle Komponenten der Exposition) von 22.07 Sv.
Unter Zugrundelegung des im Auftrag des HVBG erstellten Gutachtens des Instituts für Strahlenschutz vom März 1995 (W. Jacobi und P. Roth, Risiko und Verursachungswahrscheinlichkeit von extrapulmonalen Krebserkrankungen durch die berufliche Strahlenexpositon von Beschäftigten der ehemaligen Wismut AG, im Folgenden „Jacobi II”) ergab sich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 52,3 %.
Die Beklagte legte daraufhin die Akten ihrem beratenden Arzt Dr. M. mit einer Bitte um Stellungnahme vor; dieser vertrat die Auffassung, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und der Erkrankung lasse sich „in Auswertung aller vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen und der zurzeit verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisse nicht wahrscheinlich machen”.
Auf Vorschlag von Frau Dr. N. vom Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurde daraufhin ein Gutachten bei Prof. Dr. sc. med. D. A. (außerplanmäßiger Professor für Strahlenbiologie und Strahlenschutzmedizin am V.-K. der C.) in Auftrag gegeben.
In seinem Gutachten nach Aktenlage vom 29.11.1998 wies Professor A. darauf hin, dass bei internationalen epidemiologischen Studien an großen Uranbergarbeiter-Kollektiven (Lubin, J. H. et al, radon and lung cancer risk: a joint analysis of 11 Underground miners studies, Natl. Inst. Health, NIH Publ. 1994, 3644; Darbi, J. et al, radon and cancers other than lung cancer in Underground miners: a collaborative analysis of 11 studies, J. Nat. Cancer institute, Vol 87, No. 5, March 1, 1995) bislang eine echte – also signifikante – Häufung von extrapulmonalen Krebsen im Vergleich zu deren Inzidenz in der Normalbevölkerung bislang nicht erbracht hätten.
Man müsse allerdings davon ausgehen, dass ionisierende Strahlen dazu imstande seien, nahezu alle bösartigen Neoplasien zu induzieren. Gesicherte Dosis-Risiko-Beziehungen im Sinne der so genannten Verdoppelungsrate gegenüber der Spontanrate in der Normalbevölkerung bestünden im Allgemeinen nach Überschreiten einer Ganzkörperdosis von etwa 1 bis 2 Sv. Dabei stelle vor allem das Lebensalter zum Zeitpunkt der Strahleneinwirkung eine variierende Größe dar; jugendliche Personen seien besonders strahlenempfindlich.
Unter Verwendung des von Jacobi II vorgeschlagenen dosimetrischen Modells sei die haftungsausfüllende Kausalität begründet. Eine Gruppe strahlen- und arbeitsmedizinischer Experten habe im Januar 1995, im Dezember 1997 und im Juni 1998 den von Jacobi II vorgeschlagenen dosimetrisch begründeten Kausalitätskriterien bei extrapulmonalen Tumoren, die auf strahlenbiologischepidemiologischen Ergebni...