Rz. 13

Nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ist vorläufig zu entscheiden, wenn zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen längere Zeit erforderlich ist, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen aber hinreichend wahrscheinlich ist. Voraussetzung ist demnach eine bestehende Ungewissheit über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen bzw. über die konkrete Höhe des Leistungsanspruchs. Die allgemeine Ungewissheit über ein möglicherweise in Zukunft erzielbares Erwerbseinkommen bzw. der Änderung der Höhe des Erwerbseinkommens genügt nicht, um eine Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung zu begründen (Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 41a Rz. 11 unter Hinweis auf SG Freiburg, Beschluss v. 28.11.2016, S 19 AS 4524/16 ER). Nr. 1 enthebt aber den Grundsicherungsträger nicht von der Pflicht, möglichst zügig alle Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistungsbewilligung zu prüfen. Mangelnde Amtsermittlung ist daher kein Grund für eine vorläufige Leistungsbewilligung nach Abs. 1 (Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 41a Rz. 4). Hauptanwendungsfall ist der Bezug von schwankendem Erwerbseinkommen bzw. Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. In der Literatur ist umstritten, ob auch der erwartete bzw. ungeklärte Zufluss vorrangiger Sozialleistungen ein Anwendungsfall von Nr. 1 ist (vgl. Geiger, NZS 2017 S. 139).

 

Rz. 14

Aus der Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, was unter "längere Zeit" zu verstehen ist. Eine absolute Zeitgrenze kann nicht angegeben werden, da es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt (Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 41a Rz. 12; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 41a Rz. 38). Die Bundesagentur für Arbeit versteht hierunter, dass zeitaufwendige Nachforschungen und/oder evtl. umfangreichere Berechnungen erforderlich sind als im Regelfall (Fachliche Weisungen der BA, Stand: 3/2018). Entscheidend sind somit die Umstände des Einzelfalles (Kemper, a. a. O.). Mit Blick auf die existenzsichernde Funktion der Vorschrift stellt Kallert nicht ganz zu Unrecht fest, dass bereits ein sehr kurzer Zeitraum eine "längere Zeit" darstellen kann, wenn der Leistungsberechtigte dringend auf die Leistung angewiesen ist, um einen aktuellen Bedarf zu befriedigen (Kallert, in: Gagel, SGB II § 41a Rz. 38). Ansonsten gilt: Steht Einkommen aus einem vorangegangenen Beschäftigungsverhältnis oder einem Bezug einer anderen Sozialleistung zur Verfügung, entscheidet die Bundesagentur für Arbeit vorläufig, wenn eine abschließende Bewilligung nicht spätestens nach Ablauf des Kalendermonats, in dem der Antrag gestellt wurde, erfolgen kann.

 

Rz. 15

"Hinreichend wahrscheinlich" i. S. v. Nr. 1 ist das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen dann, wenn bei vernünftiger und objektiver Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ein deutliches Übergewicht für das Bestehen eines Leistungsanspruchs vorliegt (so die Definition der BA, vgl. Fachliche Weisungender BA, Stand: 3/2018; ähnlich Staiger, info also 2016 S. 308 m. w. N., nach dem eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" vorliegt, wenn mehr für als gegen einen Leistungsanspruch spricht; ebenso: Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 41a Rz. 14; krit. Kallert, in: Gagel, SGB II, § 41a Rz. 36, der hervorhebt, dass gerade wenn es um die Existenzsicherung geht, damit ein zu strenger Maßstab angelegt werde). Allein die bloße Möglichkeit des Vorliegens eines Anspruchs reicht nicht für eine vorläufige Leistungsgewährung. Sofern die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Erbringung von Geldleistungen nicht hinreichend wahrscheinlich ist, sind die beantragten Leistungen abzulehnen (BR-Drs. 66/16 S. 56).

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