Rz. 12
Der Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger besteht nach Satz 2 auch, soweit die Erbringung des Bürgergeldes allein aufgrund einer nachträglich festgestellten Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters oder eine Knappschaftsausgleichsleistung zuerkannt wird. Mit Satz 2 werden die Erstattungsansprüche auf Fallgestaltungen erweitert, in denen Bürgergeld allein aufgrund einer nachträglich festgestellten Erwerbsminderung rechtswidrig gewährt wurde. Der Erstattungsanspruch nach Satz 2 greift nur ein, soweit die Rente rückwirkend bewilligt wird. Soweit die Rente für die Zukunft ausgesprochen wird, gilt Satz 1 (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.3.2021, L 33 R 703/20 NZB). Nach der Gesetzesbegründung ist damit auch klargestellt, "dass Erstattungsansprüche nach § 104 SGB X seitens der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch dann entstehen, wenn einer leistungsberechtigten Person, die mit einer weiteren erwerbsfähigen Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, Bürgergeld in Annahme der Erwerbsfähigkeit erbracht worden ist, sich aber aufgrund einer Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nachträglich herausstellt, dass die betreffende Person voll erwerbsgemindert ist und eigentlich Sozialgeld hätte erbracht werden müssen" (BR-Drs. 145/14 S. 8).Danach kommt ein Erstattungsanspruch dann in Betracht, wenn – bei Vorliegen der sonstigen Leistungsvoraussetzungen – die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung des Grundsicherungsträgers allein aus der vollen Erwerbsminderung des Leistungsbeziehers folgt (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 40a Rz. 35).
Rz. 13
Als weitere Alternative ist in Satz 2 klargestellt, dass auch ein Erstattungsanspruch bei rückwirkender Zuerkennung einer Altersvollrente oder einer Knappschaftsausgleichsleistung besteht. Der Bezug einer Altersvollrente oder einer Knappschaftsausgleichsleistung führt nach § 7 Abs. 4 zum Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 40a Rz. 38). In der Praxis bestanden in der Vergangenheit Unsicherheiten darüber, ob der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei rückwirkender Zuerkennung einer Altersvollrente oder einer Knappschaftsausgleichsleistung einen Erstattungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung nach § 104 SGB X hat, da bei rechtzeitiger Zuerkennung der Altersvollrente bzw. der Knappschaftsausgleichsleistung der Leistungsanspruch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende bereits ab Rentenbeginn entfallen wäre. Diese Unsicherheiten sind nun mit Satz 2 zugunsten des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende beseitigt.
Rz. 14
Der Erstattungsanspruch nach Satz 2 ist nicht von der Rechtsposition des Leistungsberechtigten abgeleitet. Dementsprechend vollzieht sich die Erstattung allein zwischen den Leistungsträgern ohne Beteiligung des Leistungsberechtigten. Der Erstattungsanspruch entsteht kraft Gesetzes (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 9.2.2017, L 19 AS 1917/16). Der Anspruch des Leistungsberechtigten geht also nicht auf den erstattungsberechtigten Grundsicherungsträger über (LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.).
Rz. 15
Der Erstattungsanspruch nach Satz 2 setzt voraus, dass eine Erwerbsminderungs-, Altersrente oder Knappschaftsausgleichsleistung nachträglich gewährt wird. Erwerbsminderungsrente i. S. v. Satz 2 ist die volle Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 40a Rz. 20). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Unter "Altersrente" ist die Regelaltersrente zu verstehen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.12.2015, L 16 R 134/13).
Rz. 16
Im Gegensatz zu Satz 1 kommt es bei Satz 2 nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 104 SGB X vorliegen. Vielmehr ist mit Satz 2 ein Erstattungsanspruch des SGB II-Trägers neu begründet worden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.12.2015, L 16 R 134/13).