Rz. 15
Die Vorschrift wird wie schon die Vorbild- und Vorläuferregelung in § 117 BSHG (jetzt § 118 SGB XII) aus verfassungsrechtlichen Gründen stark kritisiert (unzulässig: Kunkel, NVwZ 1995, 21; Zeitler, NDV 1998, 105; zulässig: Schnipper, FPR 1998, 298; zulässig, wenn eng auszulegen: Schoch, RDV 1998, 195).
Rz. 16
Eine Vielzahl von Autoren hält die Vorschrift für zu allgemein gefasst, bereits der Gesetzeszweck – repressive Rechtsmissbrauchskontrolle – lasse sich der Norm nicht ohne weiteres entnehmen ( Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 52 Rz. 5). Der Abgleich des gesamten Datensatzes ohne konkretes Verdachtsmoment stelle einen weitreichenden Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG dar. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht werde stark betroffen, weshalb die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Vorschrift fraglich sei. Auch die Verhältnismäßigkeit sei nicht gewahrt, die Daten müssten zuerst bei dem Betroffenen erhoben werden (Schoch, ZfSH/SGB 2005, 67). Zusammenfassend ist die weit überwiegende Ansicht in der Literatur der Auffassung, dass die Vorschrift eng auszulegen ist, will sie verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügen.
Rz. 17
Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedürfen Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu ihrer Rechtfertigung einer verfassungsmäßigen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83). Unter personenbezogenen Daten sind alle Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen (BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a., unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 BDSG a. F.), also alle Informationen über eine natürliche Person, unabhängig davon, welcher Aspekt der Person angesprochen wird. Das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet unter anderem die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, d. h. über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (Recht auf informationelle Selbstbestimmung).
In dieses Recht wird deshalb eingegriffen, wenn:
- der Staat von Einzelnen die Bekanntgabe persönlicher Daten verlangt oder
- diese der automatisierten Datenverarbeitung zuführt oder
- generell personenbezogene Daten staatlich erhoben und verarbeitet werden, einschließlich staatlicher Datenübermittlung (BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a.; BVerfG, Urteil v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89: "grundrechtlicher Datenschutz"; zum genetischen Fingerabdruck: BVerfG, Kammerbeschluss v. 14.12.2000, 2 BvR 1741/99, 2 BvR 276/00, 2 BvR 2061/00; BVerwG, Urteil v. 20.2.1990, 1 C 42/83; BVerwG, Urteil v. 20.2.1990, 1 C 30/86), weil sich bereits in der schlichten Datenübermittlung von einer Stelle an eine andere der Kreis derjenigen erweitert, die die Daten kennen und von dieser Kenntnis Gebrauch machen können (BVerfG, Urteil v. 14.7.1999, 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95; BVerfG, Beschluss v. 3.3.2004, 1 BvF 3/92, jeweils zu Art. 10 GG);
- der Informations- und Datengebrauch, der sich an die Datenerhebung anschließt, betroffen ist, als Schutz, dass ihn betreffende personenbezogene Daten einem anderen Verwendungszweck zugeführt werden, ohne dass die Zweckänderung (Zweckentfremdung) auf einer zulässigen Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beruht (vgl. BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a.; BVerfG, Urteil v. 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99; BVerwG, Urteil v. 9.3.2005, 6 C 3/04).
Angesichts dieses umfassenden grundrechtlichen Schutzes und der starken Intensität des Eingriffs ist die Vorschrift im Wege verfassungskonformer Auslegung eng auszulegen. Zumindest für § 52 Abs. 1 Nr. 3 ist durch obergerichtliche Rechtsprechung klargestellt, dass die automatisierte Datenerhebung und -übermittlung nicht das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt (BSG, Urteil v. 24.4.2015, B 4 AS 39/14 R).