Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Verwirkung des Erinnerungsrechts der Landeskasse gegen die Prozesskostenhilfevergütung. fiktive Terminsgebühr. Erlass eines Abhilfebescheids. kein Anerkenntnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verwirkung des Erinnerungsrechts der Landeskasse setzt ein Zeit- und ein Umstandsmoment voraus.
2. Fußt das Umstandsmoment allein auf der Festsetzungsentscheidung des Urkundsbeamten bzw. der Auszahlung der festgesetzten Vergütung, scheidet eine Verwirkung innerhalb eines Jahres seit der Festsetzungsentscheidung regelhaft aus.
3. Der für die Verwirkung maßgebliche Zeitraum kann sich verlängern, wenn für den Rechtsanwalt Umstände erkennbar sind, die eine Erinnerung gegen den Forderungsübergang (§ 59 Abs. 2 RVG) und eine sich daran anschließende Erinnerung der Landeskasse gegen die Festsetzungsentscheidung erwarten lassen (hier: Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr trotz Bestreitens der Abgabe eines Anerkenntnisses durch den Gegner bereits im Ausgangsverfahren).
4. Der Erlass eines abhelfenden Bescheids stellt kein Anerkenntnis i.S. der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG dar.
Tenor
Die Beschwerde des Erinnerungsführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 7. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
Nachdem er dem Kläger eines grundsicherungsrechtlichen Verfahrens im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet und das Verfahren infolge eines abhelfenden Bescheids erledigt worden war, machte der Erinnerungsführer Vergütungsansprüche in Höhe von 1.071,00 EUR unter Berücksichtigung einer Verfahrens-, Termins- und Erledigungsgebühr auf Grundlage der Mittelgebühr geltend. Mit Beschluss vom 11. Mai 2017 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung auf 702,10 EUR fest und berücksichtigte neben der Verfahrensgebühr eine fiktive Terminsgebühr. Nachdem der Beklagte des Ausgangsrechtsstreits am 13. Februar 2018 Erinnerung gegen den Forderungsübergang eingelegt hatte, legte der Erinnerungsgegner am 29. März 2018 Erinnerung gegen den Beschluss vom 29. März 2017 ein, der der Urkundsbeamte mit Beschluss vom 16. April 2021 abhalf, indem er die Vergütung auf 261,80 EUR unter Berücksichtigung lediglich einer Verfahrensgebühr in Höhe von zwei Dritteln der Mittelgebühr festsetzte.
Die dagegen erhobene Erinnerung hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss vom 7. Februar 2024 ist nicht zu beanstanden. Das Gericht weist die Beschwerde nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG], § 1 Abs. 3 RVG).
Soweit der Erinnerungsführer ausführt, der angefochtene Beschluss habe sich mit seinen Argumenten in den Schriftsätzen vom 6. April 2021, 5. Mai 2021 und 17. Februar 2022 nicht auseinandergesetzt, ist dies nur teilweise insoweit nachvollziehbar, als der Erinnerungsführer im Hinblick auf die Erinnerung des Erinnerungsgegners gegen die Ausgangsfestsetzungsentscheidung Verfristung, Verjährung und/oder Verwirkung geltend macht.
Die Erinnerung gegen die Festsetzungsentscheidung ist jedoch nicht fristgebunden und das Erinnerungsrecht der Landeskasse ist vorliegend auch nicht verjährt oder verwirkt. Verwirkung setzt immer ein Umstands- und ein Zeitmoment voraus. Mag die Zahlung der Vergütung auf den Festsetzungsbeschluss vom 11. Mai 2017 auch ein - nach den verfahrenstechnischen Abläufen der PKH-Vergütung und Abrechnung eher schwaches - Umstandsmoment begründen (vgl. dazu LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. November 2020 - L 5 SF 187/19 B E - juris Rn. 18), ist - unter Berücksichtigung des hier in Betracht kommenden allenfalls schwachen Umstandsmoments - das für die Verwirkung zusätzlich erforderliche Zeitmoment noch nicht erfüllt. Zu Recht geht der Erinnerungsgegner davon aus, dass die Zahlung der Vergütung allein kein gesteigertes Vertrauen schafft, den Betrag auch behalten zu dürfen, weil in Konstellationen wie der vorliegenden stets eine Erinnerung gegen den Forderungsübergang (§ 59 Abs. 2 RVG) in Rede steht, die dann bei entsprechenden Erfolgsaussichten typischerweise mit einer Erinnerung der Landeskasse gegen den Festsetzungsbeschluss beantwortet wird. Damit war hier für den Erinnerungsführer umso mehr zu rechnen, als der Beklagte im Ausgangsverfahren bereits die Abgabe eines Anerkenntnisses in Abrede gestellt hatte (vgl. Schriftsatz vom 29. November 2016, BL. 26 der Gerichtsakte). Es lag nahe, dass sich die Beklagte daher mit einer eigenen Erinnerung gegen den Forderungsübergang zumindest insoweit wenden würde, als mit dem Festsetzungsbeschluss vom 11. Mai 2017 eine fiktive Terminsgebühr berücksichtigt wurde. Bei Zugrundelegung sel...