Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Hauptsacheverfahren. Nichterreichen des Wertes des Beschwerdegegenstandes. Nichtanwendbarkeit von § 127 Abs 2 S 2 ZPO nach Änderung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG durch das SGB4ÄndG 3 vom 5.8.2010
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Versagung der beantragten Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten der Klage ist eine Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren auch dann zulässig, wenn der Wert der Beschwer einen Betrag von 750,00 Euro nicht erreicht.
Orientierungssatz
Für eine entsprechende Anwendung des § 127 Abs 2 S 2 Halbs 1 ZPO ist seit der Änderung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG kein Raum mehr.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 10. Januar 2011 aufgehoben und der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S..., K..., bewilligt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein vor dem Sozialgericht anhängiges Klagverfahren, in dem die Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Alg II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) wegen eines von dem Beklagten als Meldeversäumnis bewerteten Ereignis am 20. Mai 2009 streitig ist.
Die am ... 1956 geborene und im Leistungsbezug des Beklagten stehende Klägerin war seit 5. Februar 2009 laufend arbeitsunfähig krank.
Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 forderte der Beklagte die Klägerin auf, am 20. Mai 2009 um 8.30 Uhr bei ihm zu einem Gespräch über ihr Bewerberangebot bzw. ihre berufliche Situation vorzusprechen. Das Schreiben enthielt folgenden Hinweis:
Sollten Sie am oben genannten Termin arbeitsunfähig erkrankt sein, erscheinen Sie bitte am ersten Tag, an dem Sie wieder arbeitsfähig sind. …
Bitte teilen Sie uns umgehend mit, wenn Sie am oben genannten Termin arbeitsunfähig sind. Die Arbeitsunfähigkeit ist durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen.
Dem Schreiben war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt.
Die Klägerin, die am 19. Mai 2009 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 25. Mai 2009 eingereicht hatte, erschien zu diesem Termin nicht, sprach jedoch am selben Vormittag gegen 10.38 Uhr bei der Leistungsabteilung vor, um eine Beihilfe für die Anschaffung einer Waschmaschine zu beantragen.
Nach Anhörung der Klägerin, in der sie auf die ihrer Meinung nach ausreichende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verwies, senkte der Beklagte das Alg II der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2009 um 10 v. H. der maßgebenden Regelleistung (359,00 EUR) ab und hob die Bewilligung für diesen Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) insoweit auf (Bescheid vom 9. Juni 2009). Zur Begründung machte er geltend, dass die Klägerin trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 20. Mai 2009 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Sie habe den Termin aufgrund der Arbeitsunfähigkeit bei der Fallmanagerin nicht wahrgenommen, sei jedoch am selben Tag am Kundentresen erschienen.
Mit ihrem dagegen am 17. Juni 2008 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie der festen Meinung gewesen sei, dass sie im Krankheitsfalle den Meldetermin nicht wahrzunehmen brauche. Dies sei ihr erst im Anschluss an den Meldetermin von dem Beklagten mitgeteilt worden. Dass ein ergänzendes Attest eines Arztes, das ihre fehlende Geh- und Reisefähigkeit bzw. Bettlägerigkeit bestätige, vorgelegt werden müsse, habe sie nicht gewusst.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass es zwar zutreffend sei, dass grundsätzlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genüge, um einen wichtigen Grund für das Meldeversäumnis nachzuweisen. Ihr komme aber letztlich nur eine Indizwirkung zu. Eine gesetzliche Regelung, die besage, dass bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwingend ein wichtiger Grund anzuerkennen sei, existiere hingegen nicht. Dies gelte vor allem dann nicht, wenn der Hilfebedürftige durch sein eigenes Verhalten nachweise, dass er trotz seiner Erkrankung durchaus in der Lage sei, persönlich das Jobcenter aufzusuchen. Die Klägerin habe durch ihre persönliche Vorsprache am Vormittag des 20. Mai 2009 gezeigt, dass sie hierzu fähig gewesen sei. Es hätte sich ihr dann auch aufdrängen müssen, dass sie den Meldetermin um 8.30 Uhr ebenfalls hätte wahrnehmen können.
Mit ihrer am 7. Oktober 2009 beim Sozialgericht Schleswig eingegangenen und mit Beschluss vom 13. November 2009 an das Sozialgericht Kiel verwiesenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Sanktion und macht geltend, dass in der Vergangenheit wiederholt Meldetermine wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit verschoben worden seien. Der Beklagte habe in diesem Zusammenhang zu keinem Zeitpunkt von ihr die Vorlage einer besonderen Bescheinigung über die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Wahrnehmung des Termins verlangt. Insbesondere sei...