Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Beitragsfestsetzung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Wesentliche Änderung. Arbeitseinkommen. Einkommensteuerbescheid. Unverhältnismäßige Belastung. Mitwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer einstweiligen Beitragsfestsetzung nach § 7 Abs. 7a Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVSzGs) wegen einer unverhältnismäßigen Belastung im Sinne des § 6 Abs. 3a BVSzGs hat die endgültige Beitragsfestsetzung auf der Grundlage des für das maßgebliche Veranlagungsjahr erteilten Einkommensteuerbescheides zu erfolgen.
2. Die einstweilige Beitragsfestsetzung endet nur dann mit Ablauf des Monats der Ausfertigung des aktuellen Einkommensteuerbescheides, wenn die Voraussetzungen der unverhältnismäßigen Belastung nicht erneut erfüllt sind.
3. Bei der einstweiligen Beitragsfestsetzung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Wenn die Voraussetzungen einer unverhältnismäßigen Belastung durch den aktuellen Einkommensteuerbescheid weiterhin belegt sind, enthält § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X keine Rechtsgrundlage für eine rückwirkende Aufhebung.
4. Wenn der Versicherte sich weigert, Einkommensanfragen der Krankenkasse auf übersandten Formblättern zu beantworten, ermächtigen die BVSzGs nur zu einer Änderung der Beitragsfestsetzung für die Zukunft.
Normenkette
BeitrVerfGrds SelbstZ § 6 Abs. 3a, 5, § 7 Abs. 7a; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Mai 2016 und die Bescheide der Beklagten vom 17. April 2013 in der Fassung der Bescheide vom 7. Juni 2013, 3. Juli 2013, 8. August 2013 und 13. August 2013 geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, die endgültigen Beiträge für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 2012 auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides für 2012 und für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2013 auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides für 2013 festzusetzen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren nur noch über die Höhe der für die Zeit vom 1. April 2012 bis 30. April 2013 zu zahlenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung.
Die Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum bei der Beklagten freiwillig versichert. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 zeigte sie der Beklagten an, dass das aufgrund des Einkommensteuerbescheides von 2009 errechnete monatliche Einkommen von 2.581,25 EUR nicht mehr den Tatsachen entspreche, weil es durch die Kündigung des Werkvertrages mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung N. , für den sie Gutachtenaufträge erledigt habe, zu einem massiven Gewinneinbruch gekommen sei. Auch die zu erwartenden Steuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 lägen deutlich über dem zurzeit erzielten Einkommen. Die Klägerin begehrte mit sofortiger Wirkung eine Beitragsreduzierung. Sie übersandte den Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des Finanzamtes B. S. vom 9. Februar 2012, der ab dem Kalendervierteljahr 1/2012 eine Festsetzung von 0,00 EUR bis zum Empfang eines neuen Steuerbescheids beinhaltete.
Mit Bescheid vom 20. Februar 2012 setzte die Beklagte die ab 1. Januar 2012 von der Klägerin zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge jeweils vorläufig anhand der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbemessungsgrenze (1.968,75 EUR) fest und erhob einen Beitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 305,16 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 38,39 EUR. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass die endgültige Beitragshöhe aus dem Arbeitseinkommen aus dem Einkommensteuerbescheid für das maßgebliche Veranlagungsjahr ermittelt werde. Daraus ergebe sich für die Klägerin gegebenenfalls eine Nachforderung oder Erstattung. Die Beiträge aus vorhandenen weiteren Einnahmen seien bereits endgültig festgesetzt. Die vorläufige Beitragsfestsetzung aus dem Arbeitseinkommen ende grundsätzlich mit der Erteilung des nächsten Einkommensteuerbescheides. In der Folgezeit übersandte die Beklagte der Klägerin im Januar 2013 zwei Einnahmeanfragebögen. Die Klägerin führte im Schreiben vom 3. Februar 2013 aus, dass es ihr im Jahr 2012 nicht gelungen sei, neue Auftraggeber zu gewinnen und ihre finanzielle Situation zu verbessern. Die Einkommen in allen früheren Jahren entsprächen nicht mehr der aktuellen Situation. Ihre Einkommensteuererklärung für 2012 sei noch nicht fertig. Überschlägig werde ihr Einkommen für 2012 monatlich etwa 600,00 EUR betragen. Hinzu komme noch - wie bereits im März/April 2012 der Beklagten von der Deutschen Rentenversicherung Bund mitgeteilt worden sei - eine Teilaltersrente von 475,20 EUR. Somit habe sie 2012 ein monatliches Einkommen von ca. 1.075,20 EUR erzielt. Auch für 2013 sei keine Besserung zu erwarten.
Mit Schreiben vom 7. Februar 2013 forderte die Beklagte von der Klägerin eine Kopie der vollständigen Einkommensteuerbesche...