Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Bestattungskosten. Durchführung der Bestattung durch die Ordnungsbehörde im Wege der Ersatzvornahme. Nachrangigkeit der Möglichkeit eines Kostenerlasses nach § 21 Abs 2 VVKO SH 2007
Leitsatz (amtlich)
1. Auch Kosten der im Rahmen der Ersatzvornahme durchgeführten Bestattung sind Bestattungskosten iS des § 74 SGB XII.
2. Die Kostenübernahme nach § 74 SGB XII ist vorrangig gegenüber der Möglichkeit eines Erlasses der Kosten der Ersatzvornahme nach § 21 Abs 2 Schleswig-Holsteinische Verordnung über die Kosten im Vollzugs- und Vollstreckungsverfahren (VVKVO; juris: VVKO SH 2007).
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. April 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten der Ersatzvornahme, für die durch die Stadt E... durchgeführte Bestattung der Ehefrau des Klägers in Höhe von 1.755,18 EUR, die gegenüber dem Kläger geltend gemacht wurden als Bestattungskosten.
Der Kläger ist der Ehemann der am ___2009 verstorbenen G___ U___. Die Verstorbene bezog gemeinsam mit ihrem Ehemann vor ihrem Tod Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Eheleute verfügten über kein Vermögen. Als weitere Verwandte der Verstorbenen gibt es eine Tochter. Es gab keine gemeinsamen Kinder der Eheleute. Der Kläger hat das Erbe ausgeschlagen. Er verfügte mit Ausnahme des Arbeitslosengeldes II über kein Einkommen.
Der Kläger stellte am 28. Dezember 2009 im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Beerdigungskosten für seine verstorbene Ehefrau. Dazu reichte er eine Todesbescheinigung und einen nicht unterschriebenen Bestattungsauftrag für das Bestattungsunternehmen S____ ein, worin die voraussichtlichen Bestattungskosten mit 3.124,79 EUR angegeben waren.
Am 5. Januar 2010 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass die Beerdigung im Rahmen einer Ersatzvornahme durch das Ordnungsamt der Stadt E... veranlasst und durchgeführt worden sei. Mit Bescheid vom 12. Januar 2010 setzte die Stadt E... die Kosten für die Beerdigung der Ehefrau des Klägers mit 1.755,18 EUR fest und verlangte vom Kläger die Erstattung. Bei dem Betrag handelte es sich um die vom Beerdigungsunternehmen der Stadt E... in Rechnung gestellte Summe für die Durchführung der Beerdigung.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. Januar 2010 die Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, bei den von der Stadt E... geforderten Kosten der Ersatzvornahme handele es sich nicht um Bestattungskosten im Sinne des Sozialhilferechts. Bestattungskosten seien jene Kosten, die das Ordnungsamt an das Bestattungsunternehmen gezahlt habe.
Am 5. Februar 2010 legte der Kläger Widerspruch ein. Die von der Stadt E... veranlassten Kosten seien unangemessen, weil eine Verbringung der Verstorbenen nach W___ im Landkreis Sa___ einerseits gegen den Willen der Verstorbenen und auch seinen Willen - den des Ehemannes - und andererseits völlig unmotiviert gewesen wäre. Die Überführungskosten seien nicht zu erstatten. Im Übrigen handele sich um Bestattungskosten, die zu übernehmen seien.
Der Beklagte wies nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 6. Mai 2010, Beteiligung des Widerspruchsbeirates am 31. Mai 2010, erneuter Anhörung mit Schreiben vom 27. August 2010 und weiterer Beteiligung des Widerspruchsbeirates am 15. September 2010 den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2010 als unbegründet zurück.
Er - der Beklagte - führte zur Begründung aus, Sozialhilfe sei nur nachrangig zu gewähren und Selbsthilfemöglichkeiten seien daher vorrangig in Anspruch zu nehmen. So seien erforderliche Kosten einer Bestattung aus Sozialhilfemitteln nur zu übernehmen, wenn den hierzu Verpflichteten die Tragung der Kosten nicht zuzumuten sei. Der Kläger sei zwar Bestattungsverpflichteter, jedoch könne ihm zugemutet werden, bei der Stadt E... einen Antrag nach § 21 Abs. 2 Vollzugs- und Vollstreckungskostenverordnung (VVKVO) zu stellen. Danach könne von der Beitreibung der Kosten abgesehen werden, wenn diese für den Schuldner eine unbillige Härte darstellten. Demnach stünde dem Kläger eine einschlägigere Anspruchsgrundlage zur Verfügung, mit deren Hilfe er - der Kläger - die ihm von der Stadt E... auferlegten Kosten abwenden könne. Es könne ihm auch zugemutet werden, einen solchen Anspruch gegenüber der Stadt E... geltend zu machen. Dies ergebe sich aus dem gesetzlich geregelten Nachrangprinzip der Sozialhilfe. Trotz Hinweises auf die Möglichkeit und die Pflicht zur Stellung eines solchen Antrages bei der Stadt E... habe er dies bislang nicht getan. Da er überhaupt keine Bemühungen zur Verwirklichung eines vorrangigen Anspruchs erkennen lasse, komme eine nachrangige Leistungsgewährung im Rahmen der Sozialhilfe nicht in Betracht. Die Umstände und die Aufklärung bei der A...