Orientierungssatz
1. Im Beitragsrecht der gesetzlichen Sozialversicherung gilt anders als im Steuerrecht nicht das Zuflussprinzip, sondern das Entstehungsprinzip (vgl BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 3/04 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 7; BSG vom 14.7.2004 - B 12 KR 1/04 R = BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr 2; BSG vom 14.7.2004 - B 12 KR 7/04 R = SozR 4-2400 § 22 Nr 1 und BSG vom 14.5.2002 - B 12 KR 15/01 R = SozR 3-2400 § 23a Nr 2). Auf den Zufluss des Arbeitsentgelts ist nur dann abzustellen, wenn ein Arbeitnehmer höheres als das tarif- oder einzelvertraglich geschuldete Arbeitsentgelt erhält, also im Fall einer durch zusätzliche Arbeitsentgelte begründeten Beitragspflicht.
2. Das Entstehungsprinzip gilt auch dann, wenn eine Verfallklausel im Tarifvertrag besteht, nach der die Arbeitnehmer das Entgelt nicht mehr nach Ablauf von zwei Monaten nach Fälligkeit verlangen können (vgl BSG vom 30.8.1994 - 12 RK 59/92 = BSGE 75, 61 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5). Die Grundsätze bezüglich des Entstehungsprinzips gelten in der Zeit bis zum 31.12.2002 auch für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt.
3. Ein Verzicht auf Entgeltbestandteile mit der Folge eines Verlustes des Anspruchs des Beschäftigten auf den Entgeltbestandteil ist nur im Rahmen eines Aufhebungsvertrages, in einer Kündigung oder in einer Änderungskündigung möglich.
4. Ein Betriebsrat kann keine wirksame Willenserklärung - hier in Form einer Verzichtserklärung - für die Arbeitnehmer abgeben.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des zweiten Rechtszuges.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 214,08 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Beigeladene zu 1). Dabei geht es darum, ob tarifvertraglich geschuldetes, tatsächlich aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt beitragspflichtig ist.
Die Klägerin betreibt ein Reinigungsunternehmen. Sie unterliegt dem Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk vom 22. September 1995, der zwischen dem Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks und dem Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden abgeschlossen worden ist. § 15 des Tarifvertrages trifft folgende Bestimmung:
1. Der/Die Beschäftigte hat nach einer sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit Anspruch auf Zahlung einer Jahressondervergütung durch den Arbeitgeber. Stichtag ist der 30. November - jedoch ab 1996 der 31. Oktober.
Die Höhe der Zahlung beträgt:
|
1995 |
1996 |
1997 |
1998 |
1999 |
60 |
65 |
70 |
75 |
80fache |
des zum Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Tariflohnes des/der Beschäftigten.
2. Die Jahressondervergütung ist mit dem Lohn für den Monat November, jedoch ab 1996 für den Monat Oktober, auszuzahlen und in der Lohnabrechnung für die/den Beschäftigte/n gesondert auszuweisen. Im Falle der Ziffer 5 ist die Zahlung mit der letzten Lohnabrechnung fällig.
3. Die Jahressondervergütung kann auf betrieblich gewährtes Weihnachtsgeld, 13. Monatseinkommen oder Zahlungen, die diesen Charakter haben, angerechnet werden.
Der Tarifvertrag wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für allgemein verbindlich erklärt.
Für das Kalenderjahr 1997 wurde die tarifliche Sondervergütung gemäß § 15 des Vertrages wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Klägerin nicht gewährt. Diese traf mit dem Betriebsrat die Vereinbarung, dass die Jahressondervergütung für 1997 erst im ersten Quartal 1998 ausgezahlt werden solle. Tatsächlich erfolgte auch 1998 die Auszahlung nicht. § 23 des Rahmentarifvertrages bestimmt, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
Die Beklagte führte in der Zeit vom 25. bis 28. Juli und 25. bis 26. September 2000 eine Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 1999 durch. Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 6. Oktober 2000 forderte sie mit Bescheid vom 8. November 2000 insgesamt Beiträge in Höhe von 189.305,59 DM nach, darunter für die Beigeladene zu 1) 214,08 DM. Zur Begründung führte sie aus, der Beitragsanspruch richte sich nicht nur nach dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt, sondern auch nach den vom Arbeitgeber geschuldeten Löhnen und Gehältern. Das geschuldete Arbeitsentgelt ergebe sich aus den Regelungen des individuellen Arbeitsvertrages in Verbindung mit den als allgemein verbindlich erklärten tariflichen Regelungen. Die Mitarbeiter hätten nicht wirksam auf die Jahressondervergütung verzichtet. Diese sei nur an die Mitarbeiter ausgezahlt worden, die den Anspruch gerichtlich eingeklagt hätten. Im Übrigen hätten die Geschäftsführung und der Betriebsrat mit Schreiben vom November 1997 und Mai 1998 die Mitarbeiter zwar informiert, dass das Weihnachtsgeld 1997 nicht ausgez...