Im Sozialversicherungsrecht gilt grundsätzlich das sogenannte "Entstehungsprinzip". Das bedeutet, dass zur Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge nicht das tatsächlich gezahlte, also geflossene Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird. Vielmehr wird auf das zu beanspruchende, also entstandene beziehungsweise. "erarbeitete" Entgelt abgestellt. Damit gilt eine andere Systematik als im Steuerrecht. Dort ist ausschließlich das "Zuflussprinzip" maßgeblich.
Kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bei einer Öffnungsklausel
Aufgrund einer Öffnungsklausel nicht gezahltes Arbeitsentgelt wird jedoch nicht berücksichtigt.
Phantomlohn: Definition
Bei dem Phantomlohn handelt es sich um einen Lohn oder häufiger Lohnbestandteile, die nicht ausgezahlt worden sind, obwohl der Arbeitnehmende darauf einen Rechtsanspruch hat. Bisher wurde angenommen, dass im Sozialversicherungsrecht ein Entgeltverzicht beziehungsweise eine Entgeltumwandlung dann zur Beitragsfreiheit der daraus resultierenden Arbeitgeberleistung führt, wenn der Verzicht ernsthaft gewollt und nicht nur vorübergehend sowie auf künftig fällig werdende Arbeitsentgeltbestandteile gerichtet und arbeitsrechtlich zulässig ist. Im Steuerrecht kann hingegen das Zusätzlichkeitserfordernis grundsätzlich nicht durch Entgeltumwandlungen erfüllt werden.
BSG-Urteil steht bisheriger Auffassung entgegen
Das Urteil des BSG vom 23. Februar 2021, B 12 R 21/18 R - (USK 2021-6) steht der bisher vertretenen Auffassung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung entgegen. Insofern ist das beitragsrechtliche Zusätzlichkeitserfordernis unter Beachtung der Grundsätze des BSG neu zu definieren.
Danach werden Arbeitgeberleistungen nicht zusätzlich gewährt, wenn sie ein teilweises Surrogat für den vorherigen Entgeltverzicht bilden. Davon ist auszugehen, wenn sie kausal mit der Beschäftigung verknüpft sind, indem sie fester Bestandteil der Entgeltvereinbarung und somit des aus der Beschäftigung resultierenden Entgeltanspruchs werden. Von einem entsprechenden Surrogat ist insbesondere auszugehen, wenn ein unwiderruflicher Anspruch auf die "neuen" Leistungen und die Berücksichtigung der "neuen" Leistungen als Bestandteil der Bruttovergütung für künftige Entgeltansprüche – wie zum Beispiel Entgelterhöhungen, Prämienzahlungen, Urlaubsgeld, Ergebnisbeteiligung oder Abfindungsansprüche eingeräumt wird.
Im Ergebnis kommt es für den Ausschluss der Zusätzlichkeit darauf an, ob
- die Vor- und Nachteilseinräumung durch Entgeltverzicht auf der einen und das ergänzte Leistungsspektrum auf der anderen Seite im Zusammenhang stehen und eine einheitliche Vereinbarung bilden, die insgesamt im Rahmen des gegenseitigen Austausches zustande gekommen und nicht trennbar ist und
- aus objektiver Sicht der Vertragsparteien die neue Vergütung nur dann vollständig erfasst ist, wenn sämtliche Entgeltbestandteile zusammengenommen betrachtet werden.
Diese Merkmale spiegeln sich in den neuen gesetzlichen Kriterien des steuerrechtlichen Zusätzlichkeitserfordernisses in § 8 Abs. 4 EstG wider.
Hiernach werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Unter diesen Voraussetzungen ist von einer zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachten Leistung auch dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmende arbeitsvertraglich oder aufgrund einer anderen arbeits- oder dienstrechtlichen Rechtsgrundlage (wie Einzelvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag, Gesetz) einen Anspruch auf diese hat.
Die Merkmale für die Erfüllung des Zusätzlichkeitserfordernisses im Steuerrecht einerseits und im Beitragsrecht andererseits sind weitgehend deckungsgleich. Daher sind nach Ansicht der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung grundsätzlich die Kriterien des steuerrechtlichen Zusätzlichkeitserfordernisses nach § 8 Absatz 4 EStG in Ansatz zu bringen und zu prüfen, also auch dann, wenn allein das Beitragsrecht der Sozialversicherung - nicht aber das Steuerrecht - für bestimmte Tatbestände ein Zusätzlichkeitserfordernis verlangt.
Bei Entgeltumwandlungen im Sinne eines vorherigen Entgeltverzichts und daraus resultierenden neuen Zuwendungen des Arbeitgebers ist daher regelmäßig davon auszugehen, dass es an der Zusätzlichkeit der neuen Zuwendungen fehlt. Im Zweifelsfall hat aber das eigenständig auszulegende Beitragsrecht Vorrang, da die steuerrechtliche Beurteilung für das Beitragsrecht nicht maßgebend oder vorgreiflich ist. Insofern kann es im Einzelfall auch unabhängig von der steuerrechtlichen Beurteilung (zum Beispiel aufgrund einer fragwürdigen oder offensichtlich fehlerhaften Anrufungsauskunft) an der Zusätzlichkeit der aus einem Entgeltverzicht hervorgehenden "neuen" Leistungen des Arbeitgebers fehlen, wenn diese Surrogate für den Bruttolohnverzicht und damit nicht abtrennbare, integrale Bestandteile der insgesamt vereinbarten neuen Vergütung darstellen.
Die geänderte Auffassung soll – auch in Bestandsfällen – spätestens für Entgeltabrechnungszeiträume ab 1. Januar 2022 gelten.
Enthält weder das Steuerrecht noch das Beitragsrecht ein Zusätzlichkeitserfordernis, führt ein wirksam vereinbarter Entgeltverzicht oder eine Entgeltumwandlung für die daraus resultierende steuerfreie beziehungsweise pauschalbesteuerte Arbeitgeberleistung im Rahmen der SvEV wie bislang zur Beitragsfreiheit.
Kein Phantomlohn für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt
Keine Regel ohne Ausnahme: Das gilt auch beim Entstehungsprinzip in der Sozialversicherung. Bei Einmalzahlungen gilt der Grundsatz des Entstehungsprinzips nämlich nicht. Bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt gilt das Zuflussprinzip. Die Beitragsansprüche bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entstehen also erst dann, wenn es tatsächlich ausgezahlt ist. Eine fiktive Verbeitragung von nicht gezahlten Sonderzuwendungen erfolgt daher nicht.
Phantomlohn: Auswirkungen auf die Versicherungspflicht
Für den Fall, dass der Versicherungsstatus von der Höhe des erzielten beziehungsweise zu beanspruchenden Arbeitsentgelts abhängig ist, kann das fiktive Entgelt auch Auswirkungen auf die versicherungsrechtliche Beurteilung haben. Dies betrifft insbesondere geringfügig entlohnte Beschäftigungen. Bei Minijobbern kann die Berücksichtigung eines fiktiven Entgelts zum Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 450 Euro und damit zur Sozialversicherungspflicht führen.
Phantomlohn: Mögliche Problemfelder
In der Praxis kommt es häufig zur Berücksichtigung eines Phantomlohns – insbesondere im Zusammenhang mit dem Anspruch auf:
- Arbeit auf Abruf
- Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
- Urlaubsentgelt
- Arbeitsentgelt während Beschäftigungsverboten nach dem MuSchG