Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. aktive Verfahrensförderung. Zeiten zwischen Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung. weiträumige Terminierung zur Vermeidung von Vertagungen. Berücksichtigung von drei Monaten als Aktivmonate. Abwarten einer freigestellten Stellungnahme als Aktivzeit. keine instanzübergreifende Verrechnung von nicht verbrauchter Vorbereitungs- und Bedenkzeit
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Prüfung einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach § 198 Abs 1 GVG sind bis zu drei Monate zwischen der Anberaumung und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung als aktive Zeiten zu bewerten.
Eine Instanz übergreifende Verrechnung der in der Regel 12 Monate pro Instanz umfassenden Bearbeitungs- und Bedenkzeit findet im Rahmen der og Prüfung nicht statt.
Orientierungssatz
1. Das Abwarten einer ins Belieben des Beteiligten gestellten Stellungnahme ist als aktive Bearbeitungszeit zu werten, solange nicht unangemessen lange Wiedervorlagefristen gesetzt werden oder wenn nicht ohne aktive Erinnerungen über einen sehr langen Zeitraum abgewartet wird.
2. Zum Leitsatz 1: Abweichung zu LSG Berlin-Potsdam vom 25.2.2016 - L 37 SF 128/14 EK AL.
Nachgehend
Tenor
Das beklagte Land wird verurteilt, dem Kläger wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahrens L 8 U 14/14 eine Entschädigung in Höhe von 1.600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.100,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer eines vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) geführten Berufungsverfahrens (Az. L 8 U14/14 [im Folgenden: Ausgangsverfahren]).
Mit der am 5. September 2012 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen Klage begehrte der Kläger von der dort beklagten Berufsgenossenschaft die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Klage wies das Sozialgericht Kiel mit Urteil vom 11. Februar 2014, zugestellt an die Klägerbevollmächtigte am 24. Februar 2014, ab.
Dagegen richtete sich die am 24. März 2014 erhobene Berufung des Klägers zum Landessozialgericht. Der Kläger wurde zunächst durch das Landessozialgericht zur Begründung seiner Berufung aufgefordert. Seine Bevollmächtigte bat im Folgenden mehrfach um Verlängerung der Begründungsfrist und begründete die Berufung schließlich mit am 20.Oktober 2014 beim LSG eingegangenen Schriftsatz. Der Begründungsschriftsatz wurde der dortigen Beklagten zur Stellungnahme übersandt. Die Stellungnahme der beklagten Berufsgenossenschaft ging am 12. November 2014 beim Landessozialgericht ein. Dieser Schriftsatz wurde der Klägerbevollmächtigten zur Stellungnahme übersandt, die am 3. Dezember 2014 einging. Der Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten ist sodann der Beklagten zur Kenntnis- und eventuellen Stellungnahme binnen eines Monats übersandt worden.
Nach Wiedervorlage bei dem Berichterstatter am 21. Januar 2015 erfolgten zunächst keine weiteren Verfahrenshandlungen des Senats. Dieser antwortete im April 2015 nur einmal auf eine Sachstandsanfrage der Klägerbevollmächtigten. Die Klägerbevollmächtigte erhob am 21. April 2016 Verzögerungsrüge.
Mit Verfügung vom 11. Mai 2017 terminierte das LSG das Berufungsverfahren zur mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017. Dieser Termin wurde auf Bitten der Klägerbevollmächtigten wegen deren Verhinderung wieder aufgehoben. Das LSG terminierte sodann das Verfahren mit Verfügung vom 15. Juni 2017 erneut und zwar für den 8. November 2017. Mit Urteil vom 8. November 2017, zugestellt der Klägerbevollmächtigten am 12. Februar 2018, hat das LSG die Berufung zurückgewiesen.
Mit der am 11. September 2018 erhobenen Entschädigungsklage begehrt der Kläger die Gewährung einer Entschädigung wegen Überlänge des Gerichtsverfahrens L 8 U 14/14. Er trägt vor, das Verfahren sei seit Dezember 2014 reif für die Anberaumung eines Verhandlungstermins gewesen. Zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge sei bereits 16 Monate lang nichts geschehen. Auch nach der Verzögerungsrüge sei über ein Jahr keine Reaktion des Gerichts erfolgt. Erst mit der Terminsmitteilung vom Mai 2017 sei wieder Bewegung in die Sache gekommen. Er sei der Auffassung, dass die Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens unangemessen lang sei. Dabei beschränke er seine Entschädigungsforderung auf den Zeitraum, von dem an seiner Auffassung nach ein Verhandlungstermin hätte anberaumt werden müssen bis zu dem tatsächlich anberaumten ersten Verhandlungstermin im Oktober 2017. Dies bedeute, dass er für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 30. September 2017 einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 2100,- EUR habe. D...