Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer durch ionisierende Strahlen verursach-ten Wehrdienstbeschädigung ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn bereits eine relevante Strahlen-exposition während der Ausübung des Wehrdienstes nicht nachgewiesen werden kann.
2. Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer Beweisvereitelung als Grundlage für Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr.
3. Jedenfalls soweit der Bericht der Radarkommission Beweiserleichterungen empfiehlt, handelt es sich nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten.
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 5. November 2010 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Land den Klägern Hinterbliebenenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zu gewähren hat.
Der 1943 geborene und 2000 verstorbene G... war vom 1. April 1963 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 28. Februar 1993 Offizier der Bundeswehr. Nach seiner Grundausbildung und der Absolvierung verschiedener Lehrgänge war er ab September 1964 als Flugabwehrraketenoffizier (FlaRakOffz) eingesetzt. Im Zeitraum zwischen Ende des Jahres 1963 bis Anfang des Jahres 1967 war der Verstorbene etwa 2 ½ Jahre als Bediener an Konsolen und Sichtgeräten des Waffensystems HAWK tätig. Für einige Monate (vom 1. Oktober 1963 bis zum 20. Dezember 1963 als Lehrgangsteilnehmer, vom 21. Dezember 1963 bis zum 31. März 1964 im Truppendienst und vom 28. November 1967 bis zum 8. Dezember 1967 in Form einer Einweisung) war er am Waffensystem NIKE eingesetzt. Nach der Teilnahme an einem Lehrgang (Radarleitung vom 18. Januar 1967 bis zum 6. April 1967) war der Verstorbene in der Zeit bis zum 30. Juni 1986 als Radarleitoffizier in Stellungen des Radarführungsdienstes tätig. Sein Arbeitsplatz befand sich in einem unterirdischen Bunker (CRC B...) in einiger Entfernung von den Radarantennen. Als Nebenaufgabe führte er die Tätigkeit des Nachrichtenoffiziers der Abteilung aus. Vom 1. Juli 1986 bis zum Dienstzeitende am 28. Februar 1993 war er Hörsaalleiter an der Heeresflugabwehrschule in Rendsburg, wo Bediener für das Waffensystem ROLAND ausgebildet wurden (Bl. 134 bis 146, 280 VA, Bl. 63 f., 267 GA). Im Jahr 1999 wurde bei ihm ein Rektumkarzinom diagnostiziert, an dessen Folgen er am 26. August 2000 verstarb.
Die Kläger (Witwe und die beiden Söhne des Verstorbenen) beantragten am 12. Februar 2001 bei dem beklagten Land die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach § 80 Satz 1, Satz 2 SVG. Daraufhin zog die Beigeladene im Wege der Amtshilfe die den Verstorbenen betreffenden Personalunterlagen sowie die beim Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen archivierten medizinischen Unterlagen bei. Mit Bescheiden vom 30. Mai 2002 [Klägerin zu 1)], vom 31. Mai 2002 [Kläger zu 2)] und vom 3. Juni 2002 [Kläger zu 3)] lehnte das beklagte Land die Anträge ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Verstorbene bei seinem Einsatz als Radarleitoffizier und Flugabwehrraketenoffizier sowie als Hörsaalleiter an keinen Radargeräten eingesetzt gewesen sei. Nach den vorliegenden technischen Erkenntnissen und Stellungnahmen könne eine gesundheitliche Gefährdung durch Röntgenstrahlen ausgeschlossen werden, da ein Einsatz nicht an Geräten erfolgt sei, von denen eine Röntgenstrahlung ausgegangen sei. Der Verstorbene habe seine Tätigkeit in ausreichender Distanz zu den Radargeräten ausgeübt, um nicht mit Röntgenstrahlung in Berührung zu kommen.
Die dagegen am 27. Juni 2002 eingelegten Widersprüche wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheiden vom 11. Juli 2005 zurück und führte zur Begründung aus: Es lasse sich nicht objektivieren, dass das Leiden des Verstorbenen auf den in der Zeit vom 1. April 1963 bis zum 28. Februar 1993 geleisteten Wehrdienst zurückzuführen sei. Der Entscheidung liege der Bericht der vom Bundesministerium der Verteidigung eingesetzten Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 2. Juli 2003 zugrunde. Beim Betrieb, bei Wartung und Reparatur von Radargeräten könnten Expositionen gegenüber ionisierender Strahlung auftreten. Des Weiteren könnten bei der Arbeit mit radioaktiven Leuchtfarben radioaktive Stoffe inkorporiert werden. Bei ionisierender Strahlung handele es sich vornehmlich um Röntgenstrahlung von so genannten Störstrahlern, d. h. von Bauelementen (Elektronenröhren), die als unerwünschten Nebeneffekt Röntgenstrahlen aussendeten. Hinsichtlich der Expositionsrekonstruktion der Röntgenstrahlung bei der Bundeswehr halte die Radarkommission eine gerätespezifische Unterscheidung von drei Phasen für sinnvoll. Es sei davon auszugehen, dass in Phase 1 (bis 1975...