Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Nichtbescheidung eines Widerspruchs innerhalb von drei Monaten. Erledigung des Widerspruchs. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Unterkunft und Heizung. Ablehnung einer Zustimmung zu einem Umzug. Anmietung der Wohnung. Erledigung des Verwaltungsakts auf andere Weise. Unzulässigkeit des Widerspruchs. Bescheidungsanspruch. rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung
Leitsatz (amtlich)
1. Erledigt sich der Anspruch (hier: auf Zustimmung zum Umzug gemäß § 35 Abs 2 S 4 SGB XII) vor Erhebung des Widerspruchs, führt dies nicht zur Erledigung des Widerspruchsverfahrens; der Widerspruch ist vielmehr anfänglich unzulässig.
2. Die Unzulässigkeit eines Widerspruchs entbindet den Leistungsträger grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, diesen innerhalb angemessener Frist zu bescheiden.
3. Ein Fall rechtmissbräuchlicher Rechtsverfolgung, der dem Bescheidungsanspruch ausnahmsweise entgegenstehen kann, liegt nicht schon dann vor, wenn das materielle Rechtsschutzziel mit dem Widerspruch nicht mehr erreicht werden kann.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. November 2020 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Bescheidung eines Widerspruchs.
Der 1952 geborene Kläger bezog Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch im Landkreis B....
Zum Jahresbeginn 2018 beabsichtigte er einen Umzug nach D... im Gebiet des Beklagten, der ihm wegen einer Lungenerkrankung ärztlich empfohlen worden war. Am 6. Januar 2018 besichtigte er dort eine Wohnung und beantragte am 22. Januar 2018 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. März 2018 durch den Beklagten. Dem Schreiben, in dem er die Beweggründe für seinen Umzug erklärte und darstellte, dass die Wohnung die in D... die für ihn als Rollstuhlfahrer erforderliche behindertengerechte Ausstattung aufweise, fügte er ein ausgefülltes Antragsformular bei, in dem er die Aufwendungen für die Unterkunft wegen der Wohnung in D... auf 500,00 EUR (450,00 EUR netto kalt + 50,00 EUR Nebenkostenvorauszahlung) bezifferte.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2018 lehnte der Beklagte „die beantragte Zusicherung für den Umzug“ ab. Unter der dem Tenor folgenden Überschrift „Begründung“ wies er darauf hin, dass die Wohnung zu teuer und damit grundsicherungsrechtlich nicht angemessen sei. Im Fall des Klägers sei die generell geltende Angemessenheitsgrenze von 335,00 EUR um 20 Prozent zu erhöhen, weil er Rollstuhlfahrer sei. Die dann geltende Angemessenheitsgrenze von 426,00 EUR werde aber nach wie vor um 74,00 EUR überschritten. Im Weiteren enthielt der Bescheid folgenden Hinweis: „Wenn Sie dennoch in die neue Wohnung umziehen, müssen Sie damit rechnen, dass bei den Leistungen nicht die vollen Unterkunfts- und Heizkosten berücksichtigt werden. Außerdem kann keine Mietkaution gezahlt werden.“ Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 25 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Am 3. Februar 2018 mietete der Kläger die Wohnung an. Mit Bescheid vom 15. Februar 2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger laufende Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum März 2018 bis Februar 2019 unter Berücksichtigung kalter Unterkunftskosten von 426,00 EUR.
Am 1. März 2018 erhob der Kläger anwaltlich vertreten Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. Januar 2018. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Markt für behindertengerechte Wohnungen angespannt sei. Es sei wichtig, dass die Wohnung im Rahmen einer Einzelfallentscheidung als angemessen erachtet werde. Er sei außerdem auf Leistungen für Umzugskosten in Höhe von 1.350,00 EUR und für die Mietkaution angewiesen.
Mit Schreiben vom 15. März 2018, 6. April 2018 und 3. Mai 2018 erinnerte der Kläger an die Bescheidung des Widerspruchs, ohne dass seitens des Beklagten eine Reaktion erfolgte.
Am 21. Juni 2018 hat er beim Sozialgericht Schleswig Untätigkeitsklage erhoben und vorgetragen, dass er fristgerecht Widerspruch eingelegt habe, der bisher nicht beschieden worden sei.
Er hat beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, seinen Widerspruch vom 1. März 2018 gegen den Bescheid vom 31. Januar 2018 zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, dass ein Fall der Untätigkeit nicht vorliege. Das Widerspruchsverfahren habe sich dadurch erledigt, dass der Kläger in die fragliche Wohnung eingezogen sei. Im Falle der Erledigung sei die Erteilung eines Widerspruchsbescheids nicht angezeigt; einen Fortsetzungsfeststellungswiderspruch gebe es nicht. Es sei auch kein Rechtsschutzbedürfnis für die Untätigkeitsklage erkennbar, da die streitige Rechtsfrage, ob die Kosten der Unterkunft in vollem Umfang zu übernehmen seien, im Rahmen der laufenden Leistungsbewillig...