rechtskräftig: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung; Beweisantrag; Gerichtsbescheid; Rechtliches Gehör; Verfahrensfehler; Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
Hat das Sozialgericht einem nicht offensichtlich sachfremden Beweisantrag weder entsprochen noch über ihn – mit Begründung – anderweitig entschieden, ist der Sachverhalt nicht geklärt. Das Gericht darf dann den Rechtsstreit nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden, ohne sich zumindest in diesem mit dem Beweisantrag auseinanderzusetzen.
Widerspricht ein Beteiligter im Rahmen seiner Anhörung einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid, erhebt er dabei Einwände gegen das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme und ergänzt seinen bisherigen Vortrag unter Vorlage weiterer Beweismittel, ergibt sich für das Sozialgericht eine neue Prozeßsituation. Beabsichtigt es dann weiterhin, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, verstößt es gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs, wenn es die Beteiligten nicht zuvor von dieser Absicht unterrichtet und sie hierzu erneut anhört. Da der Gerichtsbescheid in einem solchen Fall verfahrensfehlerhaft erlassen worden ist, kann der Rechtsstreit vom Landessozialgericht an das Sozialgericht zurückverwiesen werden.
Normenkette
SGG §§ 62, 105 Abs. 1, § 112 Abs. 2, §§ 116, 159 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Lübeck (Entscheidung vom 20.07.1999; Aktenzeichen S 8 U 236/96) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Juli 1999 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Lübeck zurückverwiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt einer erneuten Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe und Dauer von Verletztengeld. Im Berufungsverfahren ist dabei vorrangig von Bedeutung, ob der Gerichtsbescheid, mit dem das Sozialgericht Lübeck die Klage abgewiesen hat, verfahrensrechtlich korrekt erlassen worden ist.
Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1996 hat der Kläger am 13. November 1996 Klage erhoben.
Am 26. November 1998 fand vor dem Sozialgericht Lübeck eine mündliche Verhandlung statt, in der das Sach- und Streitverhältnis erörtert und Beweis erhoben wurde durch Vernehmung des Arztes für Chirurgie M. Dessen Gutachten nebst Zusatzgutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. lag bereits vorher vor und war den Beteiligten am 19. November 1998 übersandt worden. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger, Dr. F. zu laden, damit er Fragen zum Gutachten an ihn richten könne. Außerdem beantragte er, ihm eine weitere Frist zur Stellungnahme zu den Gutachten einzuräumen. Der Rechtsstreit wurde daraufhin vertagt. Dem Kläger wurde aufgegeben, „zur Begründung seines Antrags, das persönliche Erscheinen von Dr. F. anzuordnen, im einzelnen darzulegen, weiche Zweifel oder Unklarheiten seines Gutachtens vorliegen bzw. zu beseitigen sind”. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 1999 brachte der Kläger Einwände gegen die vom Sozialgericht eingeholten Gutachten vor und kündigte Fragen für den nächsten Termin an. Mit gerichtlicher Verfügung vom 31. März 1999 wurde den Beteiligten mitgeteilt, daß das Gericht den Sachverhalt für geklärt erachte und beabsichtige, eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid zu treffen. Mit weiteren Schriftsätzen vom 25. April 1999 und 17. Mai 1999 erklärte sich der Kläger nicht mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden, weil die Gutachter nicht abschließend zu Wort gekommen seien.
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesende Gutachter hätte seine Ausführungen unterbrechen müssen, und über die persönliche Anwesenheit des neurologischen Gutachters stehe eine Entscheidung des Gerichts noch aus. Des weiteren überreichte er Fotos zur näheren Beschreibung des Unfallgeschehens. Außerdem bot er Zeugenbeweis an. Mit Schriftsatz vom 25. Juni 1999 äußerte sich die Beklagte zur Sach- und Rechtslage.
Durch Gerichtsbescheid vom 20. Juli 1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich dabei im wesentlichen auf die Gutachten des Arztes für Chirurgie M. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. gestützt. Auf den Antrag des Klägers, Dr. F. zu hören, wird in dem Gerichtsbescheid nicht eingegangen. Gegen diesen dem Kläger am 26. Juli 1999 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich dessen am 18. August 1999 beim Sozialgericht Lübeck eingelegte Berufung.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Juli 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztengeld bereits ab 1. September 1995 und über den 21. Mai 1996 hinaus bis zur Beendigung des anschließenden Krankengeldbezuges im März 1997 sowie ein höheres Verletztengeld für den gesamten Zeit...