Orientierungssatz
Ein schwenkbarer Autositz kann ein Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 S 1 Alt 3 SGB 5 sein, wenn er behinderungsbedingte Beeinträchtigungen eines Versicherten ausgleichen kann. In jedem Einzelfall muss gesondert festgestellt werden, ob ein Versicherter das Hilfsmittel zur Erschließung seines körperlichen Freiraums und trotz des Vorhandenseins von der Krankenkasse bereits zur Verfügung gestellter Leistungen tatsächlich benötigt (vgl BSG vom 16.9.2004 - B 3 KR 15/04 R und B 3 KR 19/03 R = BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 28. Mai 2003 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kosten für einen schwenkbaren Autositz (Beifahrerdrehsitz).
Die 1931 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt und leidet an den Folgen eines Brustkrebses. Am 22. August 2001 beantragte sie bei der Beklagten, die Kosten für einen schwenkbaren Autositz zu übernehmen und bezog sich hierbei auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Kosten beliefen sich auf EUR 2.760,00. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. August 2001 den Antrag der Klägerin ab und trug zur Begründung vor, dass es sich bei dem schwenkbaren Autositz nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele. Denn er werde nur für eine bestimmte Verrichtung benötigt und gehöre damit nicht zu den Hilfsmitteln, deren Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde. Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung eines gewissen körperlichen Freiraumes zähle nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken. Die Klägerin habe einen Rollstuhl sowie einen Elektrorollstuhl zur Verfügung gestellt bekommen. Mit diesen Hilfsmitteln seien, sofern dies überhaupt möglich sei, ihre Behinderungen ausgeglichen. Hiergegen erhob die Klägerin am 3. September 2001 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass ihr behandelnder Arzt ihr den Autositz verordnet habe. Die Verordnung des Allgemeinmediziners B über einen Drehsitz wurde zur Akte gereicht. Die Beklagte wies ohne weitere Ermittlungen den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2001 zurück und wiederholte im Wesentlichen die Begründung des Ausgangsbescheides.
Die Klägerin hat am 22. Oktober 2001 beim Sozialgericht Kiel Klage erhoben und vorgetragen, den Elektrorollstuhl benutze sie nur in der Wohnung. Bis 1999 habe sie das Haus noch in einem solchen verlassen können. Dies sei ihr jedoch wegen ihres Augenleidens jetzt nicht mehr möglich. Deshalb habe sie auch den für Fahrten außerhalb der Wohnung geeigneten Elektrorollstuhl an die Beklagte zurückgegeben. Sie sei auf das Auto angewiesen, um z.B. zum Friseur zu kommen oder um Freunde und ihre in K wohnende Tochter zu besuchen. Ihr behandelnder Arzt komme zu ihr nach Hause. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass es ihrem Ehemann nicht möglich sei, sie in das Auto zu heben, da dieser selbst an der Hüfte operiert worden sei. Außerdem habe er vier Bypässe gelegt bekommen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29. August 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die Beschaffung und den Einbau des schwenkbaren Beifahrerdrehsitzes zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ist von ihr ausgeführt worden, dass das Grundbedürfnis, sich einen gewissen körperlichen und geistigen Freiraum zu erschließen, nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung und nicht im Sinne der nahezu unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten Nichtbehinderter gesehen werden könne. Von einem Basisausgleich der Behinderung sei bereits auszugehen, wenn sich der Behinderte in der eigenen Wohnung fortbewegen und darüber hinaus die Wohnung verlassen könne, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder die üblicherweise in Wohnortnähe liegenden Stellen zu erreichen, um Alltagsgeschäfte erledigen zu können.
Das Sozialgericht hat einen Befund- und Behandlungsbericht vom Allgemeinmediziner B eingeholt und in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2003 die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Dr. P als Sachverständige gehört. Diese hat bei der Klägerin eine progredient verlaufende Multiple Sklerose, eine Kleinhirnstörung mit Beeinträchtigung der Funktion der linken Hand und eine Minderung der Sehfähigkeit beidseits diagnostiziert. Außerdem bestand der Verdacht auf ein hirnorganisches Psychosyndrom und Hirnwerkzeugstörungen. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 82 bis 87 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit Urteil vom 28. Mai 2003 hat das Sozialgericht Kiel der Klage stattgegeben und ...