Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung eines Widerspruchsverfahrens durch die Behörde trotz fehlenden Erfolgs des Widerspruchsführers

 

Orientierungssatz

1. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens sind gemäß § 63 Abs. 1 S. 2 SGB 10 auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hatte, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB 10 unbeachtlich ist.

2. Liegt ein ursprünglicher Begründungsmangel vor, so kann nach § 42 SGB 10 die Aufhebung eines nicht nach § 40 SGB 10 nichtigen Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

3. Dies kann nicht die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 S. 2 SGB 10 ausschließen. Wird im Widerspruchsverfahren allein die fehlende Begründung gerügt, so löst die Heilung dieses Verfahrensfehlers die Kostenfolge des § 63 Abs. 1 S. 2 SGB 10 aus.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.07.2022; Aktenzeichen B 5 R 21/21 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2019 verpflichtet, die Kosten für das Widerspruchsverfahren zu übernehmen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren gegen ei-nen Altersrentenbescheid für besonders langjährig Versicherte streitig.

Auf einen Antrag vom 14. Dezember 2018 hin bewilligte die Beklagte der am 00. 00. 0000 geborenen Klägerin mit Bescheiden vom 18. April 2019 und 25. April 2019 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 01. Mai 2019. Der Rentenbescheid enthielt die Anlage "Berechnung der Rente", wonach sich der Zahlbetrag aus persönlichen Entgeltpunkten von 27,9370, dem Rentenartfaktor von 1,0 und dem aktuellen Ren-tenwert von 32,03 EUR ermittelte. Nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflege-versicherung ergab sich ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von 793,26 EUR bzw. 794,08. Beigefügt war dem Rentenbescheid ferner die Anlage "Versicherungsverlauf". Die Anlagen zur "Berechnung der Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten", aus "beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten" und "Versorgungsausgleich" waren nicht beigefügt. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin unter dem 06. Mai 2019 Widerspruch mit der Begründung ein, dass dieser nicht nachvollziehbar, da nicht hinreichend begründet, sei. Mit Schreiben vom 11. Juli 2019 übersandte die Beklagte die fehlenden Berechnungsgrundlagen. Daraufhin erklärte die Klägerin das Widerspruchsverfahren für erle-digt und stellte einen Kostenantrag. Mit Bescheid vom 30. September 2019 stellte die Beklagte fest, dass Kosten nach § 63 SGB X für das Widerspruchsverfahren nicht zu erstatten seien. Hiergegen legte die Klägerin am 14. Oktober 2019 Widerspruch ein. Mit Wider-spruchsbescheid vom 15. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. September 2019 unter Vertiefung ihres Vortrages aus dem Widerspruchsverfahrens Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Sie verweist weiter-hin auf die Regelung des § 35 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Der angegriffene Altersrentenbescheid würde den Anforderungen dieser Norm nicht genügen, da ihm nicht alle zu einer Prüfung notwendigen Berechnungsgrundlagen entnommen werden könnten. Die fehlenden Unterlagen, welche früheren Bescheiden zudem regelhaft beigefügt gewesen seien, seien indes wesentliche Elemente für die konkrete Berechnung der Rentenhöhe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2019 zu verurteilen, die Kosten für das Widerspruchsverfahren wegen der fehlenden Berechnungsgrundlage zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die von ihr erlassenen Bescheide.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. August 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der ihr im Widerspruchsverfahren gegen die Altersrentenbescheide vom 18. April 2019 und 25. April 2019 entstandenen notwendigen Aufwendungen.

Rechtsgrundlage der Erstattungsforderung ist die Regelung des § 63 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem...

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