Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Sozialleistungen während der Dauer einer Maßnahme im Berufsbildungsbereich einer Werkstätte für behinderte Menschen

 

Orientierungssatz

1. Leistungsberechtigt wegen einer dauerhaft vollen Erwerbsminderung ist nach § 41 SGB 12, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat und bei dem unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Die volle Erwerbsminderung ist in diesem Sinne dauerhaft, ihre Behebung also unwahrscheinlich, wenn unter Ausschöpfung aller Rehabilitationsmöglichkeiten keine Möglichkeit besteht, die Erwerbsminderung zu beheben.

2. Eine Prüfung der Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung ist dann entbehrlich, wenn die Verhältnisse des Hilfebedürftigen es nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die volle Erwerbsminderung von Dauer ist. Solange dieser im Berufsbildungsbereich einer Werkstätte für Behinderte an Maßnahmen teilnimmt, steht die volle Erwerbsminderung noch nicht als dauerhaft fest.

3. Wenn nämlich der Fachausschuss der Werkstätte eine Stellungnahme dahin abgibt, dass der behinderte Mensch zunächst in den Berufsbildungsbereich aufgenommen werden soll, bringt er damit zum Ausdruck, dass der Behinderte nach Teilnahme an der Maßnahme in der Lage ist, ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen.

4. Einem Sozialhilfeanspruch nach den §§ 27 ff. SGB 12 steht in einem solchen Fall der Ausschlusstatbestand des § 21 S. 1 SGB 12 entgegen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII ab 01.08.2008.

Die am 00.00.1989 geborene Klägerin ist als Schwerbehinderte anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 60 (Merkzeichen G, B, H). Es besteht bei ihr eine Minderbegabung mit Verhaltensstörung bei Trisomie 8 Mosaik. Sie wohnt im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und den jüngeren Geschwistern S. und L ... Seit 04.09.2008 arbeitet die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung - rentenversicherungspflichtig gem. § 1 Satz 1 Nr. 2 a) Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - im Eingangs- und Berufungsbildungsbereich der Rurtalwerkstätten (RTW) für behinderte Menschen Düren. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bewilligte ihr deshalb Ausbildungsgeld gem. §§ 104, 107 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und zwar vom 04.09.2008 bis 03.12.2009 in Höhe von monatlich 62,00 EUR, vom 04.12.2009 bis 03.12.2010 in Höhe von monatlich 73,00 EUR (Bescheid vom 01.09. 2008). Die Eltern erhalten für die Klägerin und die beiden anderen Kinder Kinderzuschlag gem. § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG), bis 30.06.2009 in Höhe von monatlich 224,00 EUR, seit 01.07.2009 in Höhe von monatlich 343,00 EUR.

Am 27.08.2008 beantragte die Klägerin Sozialhilfe.

Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 29.09.2008 ab mit der Begründung, die Klägerin bilde mit ihren Eltern eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und sei - dem Grunde nach - leistungsberechtigt nach dem SGB II; dies schließe gem. § 21 SGB XII eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII aus.

Dagegen legte die Klägerin am 15.10.2008 Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, Anspruch auf Leistungen der GSi bei Erwerbsminderung zu haben; eine Begutachtung durch die Rentenversicherung zur Feststellung der vollen dauerhaften Erwerbsminderung sei nicht notwendig, wenn der Fachausschuss einer Werkstatt für behinderte Menschen über die Aufnahme in eine Werkstatt eine Stellungnahme abgegeben habe; in diesem Fall werde davon ausgegangen, dass der Leistungsberechtigte als voll erwerbsgemindert gelte. Diese Fiktion gelte auch für sie; sie sei nicht in der Lage, eine Beschäftigung oder Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu beginnen; es sei daher überwiegend wahrscheinlich, dass sie später in den Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen aufgenommen werde.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.12.2008 zurück. Er meinte, es bestehe (noch) keine dauerhafte Erwerbsminderung, da die Klägerin zunächst in den Berufungsbildungsbereich der RTW Düren aufgenommen worden sei und Ausbildungsgeld von der BA erhalte. Somit zähle sie (noch) nicht zu den Leistungsberechtigten für GSi-Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII, sondern grundsätzlich (noch) zu denen nach dem 3. Kapitel SGB XII. Da sie als Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft dem Grunde nach auch zu den Leistungsberechtigten nach dem SGB II gehöre, greife die Leistungsausschlussregelung des § 21 SGB XII; dies werde auch durch die Bewilligung des Kinderzuschlages (zur Vermeidung von SGB II-Leistungen) deutlich. Der Kinderzuschlag stelle gegenüber den SGB II-Leistungen und erst recht gegenüber den SGB XII-Leistungen die vorrangige Leistung dar.

Dagegen hat die Klägerin am 06.01.2009 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, es lä...

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