Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. volle Erwerbsminderung. Dauerhaftigkeit. keine Fiktion der Dauerhaftigkeit durch § 45 S 3 Nr 3 SGB 12. Heranziehung des § 102 Abs 2 S 5 SGB 6. Unwahrscheinlichkeit einer Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit. behinderter Mensch im Eingangsverfahren bzw Berufsbildungsbereich einer WfbM
Orientierungssatz
1. § 45 S 3 Nr 3 SGB 12, wonach es eines Ersuchens durch den zuständigen Sozialhilfeträger an den zuständigen Träger der Rentenversicherung zur Prüfung der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs 3 SGB 12 nicht bedarf, wenn der Fachausschuss einer Werkstatt für behinderte Menschen über die Aufnahme in eine Werkstatt oder Einrichtung eine Stellungnahme nach Maßgabe der §§ 2 und 3 der Werkstättenverordnung (juris: SchwbWV) abgegeben hat und der Leistungsberechtigte kraft Gesetzes nach § 43 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB 6 als voll erwerbsgemindert gilt, enthält keine Fiktion der Dauerhaftigkeit einer festzustellenden Erwerbsminderung (vgl BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R = BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6).
2. Vielmehr ist auf die rentenrechtliche Regelung zur Dauerhaftigkeit (§ 102 Abs 2 S 5 SGB 6) Bezug zu nehmen. Dementsprechend ist von einer Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung immer dann auszugehen, wenn nach Ausschöpfung aller allgemein anerkannten medizinischen Therapiemöglichkeiten keine relevante Besserungsaussicht besteht, was die Ausschöpfung vorhandener Rehabilitationsmöglichkeiten umfasst.
3. Eine dauerhafte volle Erwerbsminderung kann auch bei behinderten Menschen, die sich im Eingangsverfahren bzw Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen befinden, gegeben sein.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2010 verurteilt, dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII für den Zeitraum 01. November 2009 bis 30. November 2010 zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen Kosten zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel 12. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der am November 1990 geborene Kläger leidet nach einem Gutachten des MDK Niedersachsen vom 25. Juli 2007, nach welchem die Bedingungen für die Pflegestufe 2 vorliegen, unter linksbetonter spastischer Tetraparese, rechtskonvexer Skoliose, Mikrocephalus und Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Er verfügt über einen ab 1. Juni 1991 gültigen Schwerbehindertenausweis, in welchem ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "G", "aG" und "H" eingetragen sind und in dem die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist. Er wohnt bei seinen Eltern in deren Haushalt und bezog ab 1. November 2008 bis 31. Oktober 2009 vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Vom 1. September 2008 bis 30. November 2008 befand er sich im Eingangsverfahren und daran anschließend bis 30. November 2010 im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Lebenshilfe Bremerhaven. Seinen Antrag auf Weiterbewilligung der Grundsicherung vom 9. Oktober 2009 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Oktober 2009 ab mit der Begründung, der Kläger befinde sich seit 1. September 2008 im Berufsbildungsbereich bei der Lebenshilfe Bremerhaven. Während der Maßnahme im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich solle sich erst herausstellen, ob die volle Erwerbsminderung dauerhaft sei. Es könne daher zu diesem Zeitpunkt noch nicht davon ausgegangen werden, dass die volle Erwerbsminderung nicht behoben werden könne.
Den hiergegen, am 28. Oktober 2009 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte, der ihm seit 1. Dezember 2010 wieder fortlaufend Leistungen gewährt, mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2010 zurück.
Am 2. Februar 2010 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Stade Klage erhoben, mit welchem er sein Leistungsbegehren für den Zeitraum 1. November 2009 bis 30. November 2010 weiter verfolgt. Nach seiner Auffassung ist von einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer auszugehen, wenn wie vorliegend der Fachausschuss einer WfbM über die Aufnahme in eine Werkstatt oder Einrichtung eine Stellungnahme abgegeben habe. In diesen Fällen gehe der Gesetzgeber davon aus, dass die Voraussetzungen unwiderlegbar festgestellt seien. Bei den Werkstätten oder Einrichtungen unterscheide das Gesetz nicht zwischen Eingangs-, Berufsbildungs- und Arbeitsbereich. Zudem sei bei ihm aufgrund der festgestellten Erkrankungen und Behinderungen auch aus medizinischen Gründen von einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung auszugehen.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2010 aufzuheben.
2. den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung ...