Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion eines Leistungsantrags des Versicherten
Orientierungssatz
1. Die vom Versicherten beantragte Krankenkassenleistung gilt nach § 13 Abs. 3a SGB 5 als genehmigt, wenn die Krankenkasse den gestellten Antrag nicht fristgerecht bescheidet. Beschafft sich der Leistungsberechtigte danach die Leistung selbst, so ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
2. Der Antrag muss eine Leistung betreffen, die der Versicherte für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung steht. Hierzu zählt u. a. die Schlauchmagen-Operation bei einem Übergewichtigen.
3. Der Versicherte hat aufgrund der Genehmigungsfiktion sowohl einen Kostenerstattungsanspruch als auch einen Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse.
4. Entspricht die Genehmigungsfiktion der rechtlichen Grundlage des § 13 Abs. 3a SGB 5, so kommt es für die Rechtmäßigkeit der Fiktion nicht darauf an, wie der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich zu beurteilen wäre.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2016 und des Bescheides vom 30.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2017 verurteilt, der Klägerin die mit Schreiben vom 10.05.2015 beantragte bariatrische Operation (Schlauchmagen) als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Durchführung einer bariatrischen Operation zur Behandlung von Adipositas als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung streitig.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin beantragte mit am 11.05.2015 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 10.05.2015 die Kostenübernahme für eine "Sleeve-Gastrektomie/Schlauchmagen-Operation", die im Adipositas Zentrum des St. B. Hospital in F. durchgeführt werden solle. Zur Begründung gab sie an, durch ihr extremes Übergewicht mit einem BMI von 45, also Adipositas Grad III, an typischen Folgeerkrankungen wie u.a. Diabetes mellitus II, Arthrose in Knien und Sprunggelenk, Rücken- und Hüftschmerzen, Reflux, Schlafapnoe, Inkontinenz, Asthma und Bluthochdruck zu leiden. Zurzeit brauche sie wieder eine Gehhilfe. Sie bekomme immer wieder Beklemmungen und auch Herzrasen sowie bei der kleinsten Bewegung und Anstrengung Atemnot. Sie kämpfe schon seit vielen Jahren erfolglos gegen ihr enormes Übergewicht mit bislang unzähligen, von Ärzten, Selbsthilfegruppen und Diätprogrammen begleiteten Diäten. Nunmehr habe sie sechs Monate im Adipositas Zentrum B. an den Modulen Ernährung, Bewegung und Verhalten sowie an einer Ernährungsberatung teilgenommen und ein psychologisches Screening durchlaufen; sie gehe ferner regelmäßig zu Adipositas Selbsthilfegruppen, was sie auch nach der Operation fortsetzen wolle. Mit dem Schlauchmagen sehe sie für sich die letzte Chance, ihr Gewicht auf ein "normales", gesundes Maß zu reduzieren, um aktiv am Leben teilzunehmen. Zum Nachweis legte sie u.a. entsprechende Teilnahmebescheinigungen, ärztliche Atteste und Berichte, eine Dokumentation ihres Gewichtsverlaufes sowie ein Ernährungstagebuch aus der Zeit vom 19.02.2015 bis 08.03.2015 vor. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 1 bis 60 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Mit Schreiben vom 21.05.2015 bestätigte die Beklagte, bei der die Klägerin krankenversichert ist, den Eingang des Antrags und wandte sich an das St. B. Hospital mit der Bitte einen vorbereiteten Antwortbogen auszufüllen und zurück zu senden. Der ausgefüllte Antwortbogen und eine Darstellung über den "Organisationsablauf und (das) Konzept des chirurgischen Adipositas Zentrums am St. B. Hospital F." gingen am 28.05.2015 bei der Beklagten ein, die daraufhin am 08.06.2015 den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer sozialmedizinischen Begutachtung zur Prüfung der medizinischen Indikation beauftragte. Über diesen Sachstand informierte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom selben Tag.
Unter dem 24.06.2015 empfahl der MDK in seiner Stellungnahme nach Aktenlage die Einleitung einer Verhaltenstherapie zur Stärkung der Reflektionsfähigkeit im Bezug auf Art und Menge der aufgenommenen Nahrung. Dies zugrundelegend lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme mit Bescheid vom 29.06.2015 ab. Der unter Vorlage weiterer Unterlagen, wegen derer Einzelheiten auf Blatt 125 bis 172 der Verwaltungsakte Bezug genommen wird, von der Klägerin eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des MDK vom 13.11.2015, der keine Veranlassung für eine Änderung seiner sozialmedizinischen Auffassung sah, erließ die Beklagte unter dem 10.03.2016 einen den Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheid.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 07.04.2016 erhobenen Klage, mit der sie den geltend gemachten Sachleistungsanspruch nunmehr auf § 13 Abs. 3a Satz ...