Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von der Versicherungspflicht für einen bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätigen Beschäftigten
Orientierungssatz
1. Für einen zugelassenen Rechtsanwalt, der Mitglied eines Rechtsanwaltsversorgungswerkes ist, besteht die Möglichkeit zur Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 nur dann, wenn dieser seine weitere Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis berufsspezifisch wie ein Anwalt ausübt.
2. Dies ist dann der Fall, wenn er bei der Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber die vier Tätigkeitsmerkmale Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung kumulativ erfüllt.
3. Sind diese Tätigkeitsmerkmale erfüllt, so ist auf Antrag die Befreiung von der Versicherungspflicht zu erteilen. Die Ausübung von Ermessen ist ausgeschlossen.
Tenor
Der Bescheid vom 18.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2009 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit bei der Beigeladenen ab dem 01.04.2009 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für Ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich Haftpflicht/Schaden bei der Beigeladenen.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist seit 26.05.2006 als selbständige Rechtsanwältin zugelassen und Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen. Für diese Tätigkeit wurde sie von der Beklagten von der Rentenversicherungspflicht befreit (Bescheid vom 09.10.2006). Seit 01.04.2009 geht die Klägerin neben ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin einer Tätigkeit als Sachbearbeiterin Haftpflicht/Schaden bei der Beigeladenen nach. Dieser Tätigkeit liegt ein schriftlicher Anstellungsvertrag vom 06.03.2009 zu Grunde. Für diese Tätigkeit beantragte die Klägerin unter dem 09.04.2009 Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte zog den Anstellungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bei und wertete die Stellenbeschreibung der Beigeladenen aus. Mit Bescheid vom 18.06.2009 lehnte die Beklagte eine Befreiung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei bei der Beigeladenen nicht anwaltlich beschäftigt. Hiervon sei auszugehen, wenn die Aufgabenfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung kumulativ wahrgenommen würden, was bei der Klägerin nicht der Fall sei, da sie bei der Beigeladenen als Sachbearbeiterin tätig sei. Die Klägerin legte am 14.07.2009 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2009 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurückwies.
Hiergegen richtet sich die am 23.10.2009 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Befreiung sei nicht tätigkeits,- sondern personenbezogen. Bereits aus diesem Grund müsse sie auch für die Tätigkeit bei der Beigeladenen von der Rentenversicherungspflicht befreit werden. Im Übrigen erfülle ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen die Aufgabenfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 18.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2009 aufzuheben sowie festzustellen, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit bei der Beigeladenen ab dem 01.04.2009 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.
Das Gericht hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung in ausführlicher Weise zu ihrer Tätigkeit bei der Beigeladenen angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Beigeladenen ab 01.04.2009.
Grundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Wie der Wortlaut der Vorschrift zeigt, ist eine Befreiung entgegen der Auffassung der Klägerin immer tätigkeits- und nicht personenbezogen ("für die Beschäftigung"). Eine Befreiung ist der Klägerin daher nicht schon auf der Grundlage ihrer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin zu erteilen. Vielmehr ist die Frage, ob i...