Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Feststellung des Grades der Behinderung bei einer psychisch bedingten chronischen Schmerzstörung in Form eines Fibromyalgie-Syndrom. Bildung eines Gesamt-GdB beim Zusammentreffen mehrerer Erkrankungen in unterschiedlichen Systemen

 

Orientierungssatz

1. Bei einer psychisch bedingten chronischen Schmerzstörung im Sinne eines sog. Fibromyalgie-Syndrom ist die Zuerkennung eines Grades der Behinderung in Höhe von 30 angemessen und ausreichend.

2. Einzelfall zur Bildung eines Gesamt-GdB bei Zusammentreffen mehrerer Erkrankungen mit geringgradigen Funktionsstörungen in unterschiedlichen Körperbereichen und Körpersystemen (hier: Gesamt-GdB von 30 ermittelt).

 

Tenor

 Die Klage wird abgewiesen.

 Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Das Versorgungsamt B. stellte bei der am 00.00.1961 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 00.00.2001 aufgrund einer Hörminderung mit Ohrgeräuschen, dem Verlust beider Eierstöcke, einer Migräne und einer Funktionsstörung der Wirbelsäule einen GdB von 30 fest.

Am 11.04.2019 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB. Sie leide unter Bluthochdruck. Herzpoltern, Refluxbeschwerden, einer Depression, einer Fibromyalgie, einem Lymphödem in den Beinen, Hallux valgus, Migräne, Osteosklerose, Tinnitus, dem Verlust beider Eierstöcke sowie Funktionsstörungen im Bereich der HWS und BWS. Der ärztliche Dienst des Beklagten wertete daraufhin Arztberichte der Chirurgen Dr. T. und Dr. v.I., des Rheumatologen Dr. G., des Allgemeinmediziners T sowie Arzt- und Befundberichte der Internistin und Psychotherapeutin M, des HNO-Arztes Dr. C. und schließlich Befundberichte des Orthopäden Dr. I. aus und kam zu der Einschätzung, die Hörminderung sei, der Verlust beider Eierstöcke, die Migräne und die Funktionsstörung der Wirbelsäule seien mit einem GdB von jeweils 10 zu bewerten. Für eine bestehende seelische Störung (wiederkehrende, zuletzt mittelschwere traurige Verstimmungen, Angstzustände sowie psychosomatische Beschwerden im Sinne einer Somatisierungsstörung und einer Fibromyalgie) sein ein GdB von 30 zu berücksichtigen, so dass der GdB insgesamt weiter mit 30 zu bewerten sei.

Mit Bescheid vom 05.08.2019 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren GdB ab. Hiergegen legte die Klägerin am 12.08.2019 Widerspruch ein, der - nachdem er trotz Aufforderung nicht näher begründet worden war - durch die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2020 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Die Klägerin hat am 10.02.2020 Klage erhoben.

Sie hat schriftsätzlich beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2020 zu verurteilen, bei der Klägerin einen Gesamtgrad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der Allgemeinmedizinerin Dr. med. K, des HNO-Arztes Dr. med. C., des Internisten und Rheumatologen Dr. med. I., Internistin und Psychotherapeutin M., des Viszeral- und Gefäßchirurgen Prof. Dr. med. I. sowie eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens der Frau Dr. med. W., welches diese nach Untersuchung der Klägerin am 01.09.2020 und 17.11.2020 gegenüber dem Gericht am 14.12.2020 erstattet hat.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten verletzt, da die Bescheide rechtmäßig sind. Der Klägerin steht ein höherer Grad der Behinderung als 30 nicht zu.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt dabei dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.

Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe a...

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