Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen bei Arbeitnehmerüberlassung aufgrund des equal-pay-Prinzips
Orientierungssatz
1. Nach § 10 Abs. 4 AÜG kann der Leiharbeitnehmer im Fall der Unwirksamkeit einer Vereinbarung mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 2 AÜG von diesem die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen. Zugleich ist er damit verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für den betroffenen Leiharbeitnehmer nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen, der einem vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des jeweiligen Entleihers gezahlt wird.
2. Auf Vertrauensschutz infolge eines ergangenen Prüfbescheides kann sich der Arbeitgeber nicht berufen. Eine Betriebsprüfung hat lediglich Kontrollfunktion. Der Prüfbescheid bezweckt nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen.
3. Nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB 4 verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Für den hierzu erforderlichen bedingten Vorsatz reicht es aus, wenn der Arbeitgeber seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat.
4. Hat der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht objektiv verletzt und kann der Versicherungsträger die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand ermitteln, so ist der Versicherungsträger zur Schätzung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nach § 28 f Abs. 2 SGB 4 berechtigt.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird auf 496.393,55 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Beitragsforderung in Höhe von insgesamt 496.393,55 EUR.
Mit Bescheid vom 14.11.2012 hat die Beklagte zur Zahlung an die Einzugsstellen eine Beitragsforderung von 496.393,55 EUR für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 geltend gemacht. Die Beitragsansprüche seien wegen der Unwirksamkeit des bei der Lohnabrechnung angewandten Tarifvertrags entstanden.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt in A-Stadt eine Personalvermittlung für Zeitarbeit, ist also auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung tätig und besaß im streitgegenständlichen Zeitraum eine entsprechende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Die Klägerin hat aus Sicht der Beklagten als Verleiherin Beiträge für ihre Arbeitnehmer unter Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen aus einem unwirksamen Tarifvertrag gezahlt, die Beitragsforderungen ergäben sich aus der Differenz zwischen den tatsächlich gezahlten und den zustehenden Löhnen ("equal pay"-Prinzip).
Im streitgegenständlichen Zeitraum hat die Klägerin die Entgelte an ihre Leiharbeiter aufgrund eines zwischen der Zeitarbeitsbranche und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) abgeschlossenen Tarifvertrags gezahlt und entsprechende Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt, wobei die Klägerin höhere Entgelte zahlte als in dem CGZP-Tarifvertrag vorgesehen.
Mit bestandskräftigem Prüfbescheid vom 20.04.2007 hatte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis einschließlich 31.12.2006 beitragsmäßig ausgewertet. Bemängelt wurden in dem Bescheid einerseits die fehlerhafte Anwendung von Rechtsvorschriften bei der Beurteilung der Frage, ob Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit gegeben sei, andererseits die beitragsrechtliche Beurteilung der Entgelte und der sonstigen Zuwendungen, konkret Fragen der Überlassung von Firmenfahrzeugen zum privaten Gebrauch und die Abgeltung von Zeiten aus einem Arbeitszeitkonto. Hierbei ergab sich eine Nachforderung in Höhe von 2.634,88 EUR.
Mit Beschluss vom 14.12.2010 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) sei nicht tariffähig, und damit die entsprechenden vorinstanzlichen Entscheidungen bestätigt (Az. 1 ABR 19/10). Dies hatte zur Folge, dass die mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam waren.
Die Beklagte hat diverse von dieser Entscheidung betroffene Arbeitgeber, unter anderem auch die Klägerin, in einem Schreiben vom 23.12.2010 über diese Entscheidung des BAG informiert und Beitragsnachforderungen angekündigt. Das Schreiben ist am 24.12.2010 bei der Klägerin eingegangen. Die Beklagte hat mit diesem Schreiben ausdrücklich fristwahrend Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge nach dem Grundsatz des "equal pay" geltend gemacht und die Klägerin auf ihre in der Folge der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 bestehende Pflicht zur unverzüglichen Prüfung ihrer Beitrags- und Meldepflichten hingewiesen.
In der sich anschließenden Betriebsprüfung erließ die Beklagte am 14.11.2012 nach Anh...