Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zurückverweisung. Minderung des Arbeitslosengeld II. Nichterfüllung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung. Grenzen der Aufklärungspflicht des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Zurückverweisung wegen Ermittlungsdefiziten
Orientierungssatz
1. Ist mangels entsprechender Sachaufklärung nicht zu beurteilen, ob eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 tatsächlich vorliegt oder ob der Kläger dafür einen wichtigen Grund iS des § 31 Abs 1 S 2 SGB 2 hatte, kann das Gericht nach § 131 Abs 5 S 1 SGG verfahren.
2. Gerade bei reinen Anfechtungsklagen und einem erheblichen Ermittlungsdefizit tritt die Pflicht der Gerichte aus § 103 SGG hinter die Amtsermittlungspflicht der Verwaltung zurück (vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R = SozR 4-4200 § 60 Nr 3).
Tenor
1. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 10. März 2016 wird aufgehoben und die Sache wird zur weiteren Sachaufklärung an den Beklagten zurückverwiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beschränkung seines Arbeitslosengeldes II auf die Kosten für Unterkunft und Heizung von Dezember 2015 bis Februar 2016.
Der 1992 geborene Kläger bezieht seit Mai 2015 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Mit Bescheid vom 12. (13.?) November 2015 wurden ihm vorläufige Leistungen für die Monate November 2015 bis Oktober 2016 in Höhe von je 688,90 EUR bewilligt, davon 250 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung.
In der zwischen den Beteiligten geschlossenen Eingliederungsvereinbarung vom 27. Mai 2015 wurde festgelegt, dass der Beklagte dem Kläger die Teilnahme an der Maßnahme Quali Bau beim bfz D. anbietet und der Kläger an dieser Maßnahme vom 8. Juni bis zum 21. Oktober 2015 teilnimmt. Die Eingliederungsvereinbarung enthielt auch eine Belehrung darüber, dass Pflichtverstöße mit Leistungskürzungen geahndet würden. Der Kläger schloss zudem einen Vertrag mit dem bfz ab, wonach er im genannten Zeitraum an der Qualifizierungsmaßnahme ESF Trockenbau teilnehmen sollte. Diese Maßnahme fand wöchentlich von Montag bis Donnerstag zwischen 8 Uhr und 15:30 Uhr und am Freitag zwischen 8 Uhr und 12 Uhr statt. Für beide Seiten war eine ordentliche und außerordentliche Kündigung möglich.
Laut den Akten des Beklagten soll der Kläger am 11. Juni 2015 nicht zur Maßnahme erschienen sein und sich am 14. Juli 2015 über fehlende Arbeitsschutzvorkehrungen beschwert haben. Am 21. Juli 2015 habe der Kläger wiederum gefehlt und am 29. Juli 2015 habe er eine Abmahnung erhalten, weil er sich nicht an die Kursregeln gehalten habe. Am 6. August 2015 ist der Kläger schließlich vom bfz von der Maßnahme ausgeschlossen worden, weil er sich nicht an Kursregeln gehalten und Anweisungen nicht Folge geleistet habe.
Auf die Anhörung des Beklagten zu einer Sanktion trug der Kläger vor, er habe sich aus gesundheitlichen Gründen mehrfach beschwert, dass Arbeitssicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten würden. Er habe einer Darmerkrankung, Schuppenflechte und ADHS. Er müsse deswegen öfters auf Toilette. Das sei ihm als mangelnde Mitarbeit ausgelegt worden.
Mit Bescheid vom 16. November 2015 beschränkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II des Klägers auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 29. Februar 2016. Insoweit wurde zudem der Bescheid vom 13. November 2015 abgeändert. Der Kläger habe die zumutbare Maßnahme Quali Bau ohne wichtigen Grund abgebrochen. Seine Erkrankungen stünden in keinem Zusammenhang mit der Pflicht zur aktiven Mitarbeit. Der Kläger könne ergänzend Sachleistungen erhalten.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2016 zurück und ergänzte noch, der Kläger habe durch sein Verhalten den Abbruch der Maßnahme herbeigeführt. Es habe laut Auskunft des bfz an der aktiven Mitarbeit gefehlt, den Anweisungen der Seminarleitung und der Lehrkräfte sei nicht Folge geleistet und auch Unterrichtszeiten nicht eingehalten worden. Zudem habe der Kläger telefonisch nicht erreicht werden können. Ein wichtiger Grund sei deswegen nicht zu erkennen.
Dagegen hat der Kläger am 7. April 2016 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Er hat auf eine ärztliche Bescheinigung verwiesen, wonach er unter Proctitis ulcerosa leide und ein häufiger Toilettengang durchaus begründet sei.
Der Beklagte hat seine Entscheidung verteidigt und auf die bisherige Begründung verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger über weitere gesundheitliche Einschränkungen berichtet, dazu auch einen Bescheid über seinen Grad der Behinderung vorgelegt und die Vorkommnisse bei der Maßnahme damit erklärt, dass er aus gesundheitlichen Gründen die Maßnahme so nicht habe mitmachen können.
Der Kläger beantragt:
Der Bescheid des Beklagten vom 16. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2016 wird aufgehoben.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
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