Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Zweipersonenhaushalt in Berlin. Umzug in neue Unterkunft. vorherige Zusicherung des Grundsicherungsträgers. Erforderlichkeit des Umzugs. Angemessenheitsprüfung. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts

 

Orientierungssatz

1. Aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG kann in bestimmten Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erteilung einer vorherigen Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB 2 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen. Dabei sind an den Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund jedoch äußerst hohe Anforderungen zu stellen.

2. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn der Umzug in eine neue Unterkunft erforderlich ist, weil die räumliche Nähe zum Kindsvater, der im selben Haus wohnt, zu häufigen Konflikten führt und auch das Jugendamt wegen der dadurch entstehenden nachteiligen Belastungen für das Kind einen Umzug befürwortet.

3. Zur Angemessenheit der Unterkunftskosten für die neue Wohnung unter Berücksichtigung des Nichtvorliegens eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers im Sinne der Rechtsprechung des BSG zu § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 und Anwendung der Tabellenwerte nach § 12 WoGG nebst Sicherheitszuschlages.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen die Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die anzumietende Wohnung in der K.-straße …, … Berlin, in Höhe von monatlich 637,00 Euro für die Bruttokaltmiete zuzüglich der Heizkosten zu erteilen.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen.

 

Tatbestand

I. Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner die Erteilung einer Zusicherung für eine ihnen angebotene Wohnung.

Die 1985 geborene Antragstellerin zu 1) ist die alleinerziehende Mutter der 2014 geborenen Antragstellerin zu 2), beide bewohnen gemeinsam eine Wohnung in der G. Str. , Berlin.

Sie beantragten am 19. Januar 2022 eine Zustimmung zu einem Umzug in eine Wohnung in der K.-straße, … Berlin, deren monatliche Miete sich wie folgt zusammensetzt: 527,00 € Kaltmiete und 110,00 € Vorauszahlung für die kalten Betriebskosten; die Wohnung wird dezentral geheizt, daher sind die Abschläge hierfür noch nicht bekannt.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2022 lehnte der Antragsgegner die Erteilung der Zusicherung ab, da die im Wohnungsangebot aufgeführten monatlichen Aufwendungen für die Bruttokaltmiete den derzeit geltenden Richtwert für angemessenen Wohnraum überstiegen. Hiergegen haben die Antragstellerinnen Widerspruch eingelegt, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

Nach Auskunft des Vermieters ist die Wohnung noch bis zum 10. Februar 2022 verfügbar.

Die Antragstellerinnen beantragen,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen eine Zustimmung zu einem Umzug in die K.-straße, Berlin zu erteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass es sich nicht um einen angemessenen Wohnraum handele, da die Miete über den in der AV-Wohnen geregelten Werte liege; er sei bei der Prüfung der Angemessenheit an die AV-Wohnen gebunden. Zudem hat der Antragsgegner Zweifel am Vorliegen der erforderlichen Dringlichkeit, da es sich um das erste bzw. einzige vorgelegte Wohnungsangebot handele und weitere Bemühungen, die sich auf angemessenen Wohnraum beziehen, nicht erkennbar seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die die Antragstellerinnen betreffende elektronische Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag hat Erfolg.

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Wesentliche Nachteile drohen, wenn entweder die Gefahr der Rechtsvereitelung oder jedenfalls einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung besteht. Eine solche Gefahr besteht grundsätzlich dann, wenn eine Unterschreitung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums droht, weil daraus folgende Beeinträchtigungen nicht mehr nachträglich behoben werden könnten, selbst wenn die Leistungen im Hauptsacheverfahren erstritten und rückwirkend gewährt würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05).

2. Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab hat der Eilantrag Erfolg.

a) Zunächst besteht das erforderliche Rechtsschutzb...

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