Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Beitragsforderung. Anwendung von § 240 Abs 1 S 3 und 4 SGB 5 in der Fassung vom 11.12.2018. Beitragsreduzierung. Erfordernis der Vorlage von Einkommensnachweisen. verspätete Vorlage. fehlende Mitwirkung des Versicherten. rückwirkende Beitragsanpassung. sozialgerichtliches Verfahren. vorläufiger Rechtsschutz gegen Vollstreckung bestandskräftiger Beitragsbescheide
Leitsatz (amtlich)
1. § 240 Abs 1 S 3 und 4 SGB V finden auf Sachverhalte Anwendung, die sich nach Inkrafttreten der Vorschrift am 15.12.2018 verwirklicht haben.
2. Für einen Anspruch auf Beitragsreduzierung nach § 240 Abs 1 S 3 SGB V bedarf es der Vorlage von Einkommensnachweisen ab dem 15.12.2018 und einer Festsetzung der Höchstbeiträge wegen fehlender Mitwirkung vor nicht mehr als 12 Monaten. Erfasst sind auch Beitragsänderungsbescheide, selbst wenn die erstmalige Festsetzung der Höchstbeträge länger zurückliegt.
3. Der Anspruch auf Beitragsreduzierung nach § 240 Abs 1 S 4 SGB V ist nicht zeitlich rückwirkend beschränkt. Es bedarf hinreichender Anhaltspunkte ab dem 15.12.2018, auch wenn die Krankenkasse schon zuvor Kenntnis hatte. Erfasst werden jedoch nur Fälle von Einkommen unterhalb der Mindestbemessungsgrenze. Eine Beschränkung des Anspruchs auf die Fälle noch offener Beitragsforderungen ergibt sich aus dem Gesetz nicht.
Orientierungssatz
Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darf nicht so weit gehen, dass dadurch die Bestandskraft des Beitragsbescheides beseitigt würde; er ist deshalb - wie hier geschehen - auf die vorläufige Einstellung der Vollstreckung zu richten, um die Hauptsache nicht vorwegzunehmen (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 13.11.2013 - L 9 KR 254/13 B ER = juris RdNr 3).
Tenor
Den Antragsgegnerinnen wird - bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Neubescheidungsanspruch der Antragstellerin - im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, aus dem Beitragsbescheid vom 14. August 2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22. Dezember 2017 einen höheren Betrag zu vollstrecken, als er sich aus der Summe der von der Antragstellerin geschuldeten Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessung für die Monate Juni 2017 bis März 2018 und der darauf entfallenden Säumniszuschläge und Mahnkosten ergibt.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerinnen hat der Antragstellerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sie sich gegen Beitragsforderungen der Antragsgegnerinnen.
Der Antragstellerin ist bei den Antragsgegnerinnen kranken- und pflegeversichert. Sie stand bis zum 31. Mai 2017 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma W. GmbH, aus welchem die Arbeitgeberin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abführte. Zum 1. Juni 2017 änderte sich das Beschäftigungsverhältnis, ab diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin bei ihrer Arbeitgeberin lediglich in geringfügigem Umfang tätig und erzielte ein monatliches Einkommen von 450,00 €. Die Arbeitgeberin meldete die Antragstellerin bei den Antragsgegnerinnen zum 1. Juni 2017 ab.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2017 fragte die Antragsgegnerin zu 1) bei der Antragstellerin nach, ob eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausgeübt oder Lohnersatzleistungen bezogen werden. Zudem bot sie Beratungsleistungen an und informierte die Antragstellerin über die freiwillige Weiterversicherung. Mit weiterem Schreiben vom 30. Juli 2017 fragte die Antragsgegnerin zu 1) erneut nach und kündigte die Beitragsfestsetzung bei fehlender Rückantwort nach Maßgabe der Beitragsbemessungsgrenze an. Die Antragstellerin äußerte sich gegenüber der Antragsgegnerin nicht.
Mit Beitragsbescheid vom 14. August 2017 setzte die Antragsgegnerin zu 1) - auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) - Höchstbeiträge ab dem 1. Juni 2017 in Höhe von monatlich 774,30 € fest. Der Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung. Er wurde bestandskräftig, die Antragstellerin äußerte sich nicht.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 änderte die Antragsgegnerin zu 1) - auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) - die Höhe der monatlichen Beiträge ab Januar 2018 auf monatlich 783,23 €. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, er wurde bestandskräftig.
Zum 31. Dezember 2017 endete die geringfügige Beschäftigung der Antragstellerin. Sie nahm zum 1. Januar 2018 eine geringfügige Beschäftigung mit einem monatlichen Einkommen von 390,00 € bei der Firma L. auf.
Im April 2018 reichte die Antragstellerin den Beschäftigungsnachweis und Einkommensunterlagen für Januar 2018 bei der Antragsgegnerin zu 1) ein.
Mit Bescheid vom 18. April 2018 verminderte die Antragsgegnerin zu 1) - auch im Namen der Antraggegnerin zu 2) - den monatlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Mai 2018 auf monatlich 179,66 €. Zur Begründung verwies sie auf die eingereichten Einkommensunterlagen und teilte mit, dass die festgesetzten Beiträge erst ab dem Erste...