Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage sowie Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsakts. Wegfall der aufschiebenden Wirkung. Anordnung der sofortigen Vollziehung. überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. grob fahrlässige unvollständige Angaben. Sozialhilfe. Einkommenseinsatz. Einkommen aus Kick-Back-Zahlungen eines Pflegedienstes. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. Aufrechnung in Höhe von bis zu 25 %
Leitsatz (amtlich)
1. Einkünfte aus strafbaren Handlungen sind anrechenbares Einkommen im Sinne des § 82 SGB 12.
2. Erhält ein Leistungsempfänger sog Kick-Back-Zahlungen eines Pflegedienstes als Gegenleistung dafür, dass er Pflegeleistungen bestätigt, die der Pflegedienst gar nicht oder in erheblich geringerem Umfang erbracht hat, darf der Sozialhilfeträger in der Vergangenheit bewilligte Grundsicherungsleistungen im Umfang der erhaltenen Kick-Back-Zahlungen aufheben und deren Erstattung verlangen.
3. Der Sozialhilfeträger darf mit eigenen Erstattungsforderungen grundsätzlich monatlich in Höhe von bis zu 25 Prozent des jeweils maßgeblichen Regelbedarfs gegen Grundsicherungsansprüche des Leistungsempfängers aufrechnen (Rechtsgedanke des § 39a SGB 12).
4. Der Sozialhilfeträger kann die sofortige Vollziehung seines Rücknahme-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheides anordnen, wenn er das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet und das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Leistungsempfängers überwiegt.
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 6. September 2016 gegen den Rücknahme-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 11. August 2016 wird abgelehnt.
Der Antrag auf Anordnung der Aufhebung der Vollziehung und Verpflichtung zur Auszahlung des einbehaltenen Betrages wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches vom 6. September 2016 gegen den Rücknahme-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 11. August 2016 sowie die Anordnung der Aufhebung der bereits erfolgten Vollziehung und Verpflichtung zur Auszahlung des einbehaltenen Betrages.
Die 1949 geborene Antragstellerin bezieht von dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Geschäftsführer des Pflegedienstes M. H. und S. GmbH (nachfolgend Pflegedienst) wurden u. a Kassenbücher und Dienstpläne (“Autotouren„) für die Pflegekräfte durch die Staatsanwaltschaft sichergestellt, aus denen sich ergibt, dass eine Vielzahl von Patienten (mehrere hundert Patienten) dieses Pflegedienstes (einschließlich der Antragstellerin) Pflegedienstleistungen bestätigten, die der Pflegedienst gar nicht oder in erheblich geringeren Umfang erbrachte. Als Gegenleistung erhielten die betroffenen Patienten (einschließlich der Antragstellerin) monatlich eine Kick-back-Zahlung, deren Höhe vom Aufwand für den Pflegedienst und der entsprechenden Pflegestufe für den Patienten abhing.
Aus den sichergestellten Unterlagen ergibt sich, dass die Antragstellerin u. a. die folgenden Kick-back Zahlungen von dem Pflegedienst erhalten hat:
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November 2014: |
264,00 Euro |
Dezember 2014: |
336,00 Euro |
Januar 2015: |
280,00 Euro |
Februar 2015: |
245,00 Euro |
Nach Anhörung der Antragstellerin erließ der Antragsgegner am 11. August 2016 einen Rücknahme-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid, mit dem der Antragsgegner sämtliche Bescheide, mit denen der Antragstellerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit von November 2014 bis Februar 2015 gewährt wurden, insoweit zurücknahm, als dort Einkünfte in Höhe von monatlich 264,00 Euro (November 2014), 336,00 Euro (Dezember 2014), 280,00 Euro (Januar 2015) und 245,00 Euro (Februar 2015) nicht angerechnet wurden. Ferner forderte der Antragsgegner die Erstattung der zu viel empfangenen Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1.125,00 Euro und rechnete ab dem 1. September 2016 mit seinem Erstattungsanspruch in Höhe von 73,00 Euro monatlich gegen den Anspruch der Antragstellerin auf Grundsicherungsleistungen auf. Letztlich ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung in Bezug auf die Rücknahme, Erstattung und Aufrechnung an. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 6. September 2016 Widerspruch.
Am 20. September 2016 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin einen Antrag im Verfahren des einstweiligen ...