Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Tätigkeit. Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Corona-Soforthilfe. maßgeblicher Zeitraum. Zuflussprinzip. monatsweise Betrachtung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Corona-Soforthilfe stellt keine Betriebseinnahme dar, sondern ist lediglich von tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben im maßgeblichen Zeitraum in Abzug zu bringen.
2. Das im SGB II grundsätzlich geltende Zuflussprinzip findet auf die Corona-Soforthilfe keine Anwendung. Vielmehr gebietet ihre starke Zweckbindung eine strikte monatsweise Betrachtung, die allein zur Deckung der Betriebsausgaben in dem Zeitraum führt, für den die Hilfen im Einzelfall bestimmt sind.
Tenor
Unter Aufhebung des Bescheids vom 24.09.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides des Beklagten vom 03.12.2020 wird der Beklagte verpflichtet, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 30.04.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 2.441,44 Euro endgültig zu bewilligen.
Der Erstattungsbescheid vom 24.09.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides des Beklagten vom 03.12.2020 wird insoweit aufgehoben, als dass von den Klägerinnen ein Betrag von über 3.123,20 Euro zur Erstattung verlangt wird.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.
Tatbestand
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Bescheide vom 24.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 03.12.2020 und richten sich in der Sache gegen die Art und Weise der Berücksichtigung erhaltener Corona-Soforthilfe, eine geringere endgültige Festsetzung zunächst nur vorläufig bewilligter Leistungen sowie hierauf gestützter Erstattung.
Mit Bewilligungsbescheid vom 04.11.2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 23.11.2019 und 10.03.2020 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) für die Zeit vom 01.11.2019 bis 30.04.2020. Insgesamt zahlte der Beklagte den Klägerinnen im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum Leistungen in Höhe von 5.564,64 Euro.
Am 02.04.2020 erhielt die Klägerin zu 1 gemäß Antrag vom 01.04.2020 im Rahmen des Programms “Soforthilfe Corona (Zuschuss)“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin und der Bundesrepublik Deutschland einen Zuschuss in Höhe von 5.000,00 Euro zur Überwindung der existenzbedrohlichen Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses, der im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 entstanden ist (nachfolgend nur “Corona-Soforthilfe“).
Mit Bescheid vom 24.09.2020 bewilligte der Beklagte den Klägerrinnen für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum endgültig Leistungen in Höhe von monatlich 60,47 Euro für November und Dezember 2019 sowie monatlich 76,35 Euro für Januar bis April 2020 und forderte mit weiteren Bescheid vom selben Tage die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 4.834,26 Euro (4.192,98 Euro von der Klägerin zu 1 und 641,28 Euro von der Klägerin zu 2). Bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin zu 1 aus selbstständiger Tätigkeit zog der Beklagte von den erzielten Betriebseinnahmen in Höhe von 7.074,50 Euro die im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten Betriebsausgaben in Höhe von 4.399,25 Euro nicht ab. Vielmehr verrechnete er die Betriebsausgaben mit der erhaltenen Corona-Soforthilfe vollständig; eine Anrechnung des überschießenden Teils der Corona-Soforthilfe als Einkommen erfolgte nicht. Den so errechneten Betriebsgewinn in Höhe von 7.074,50 Euro (7.074,50 Euro Betriebseinnahmen abzgl. 0,00 Euro Betriebsausgaben) verteilte der Beklagte als Gesamteinkommen gleichmäßig auf sechs Monate mit jeweils 1.179,08 Euro. Auf den Monat April 2020 entfielen insgesamt Betriebsausgaben in Höhe von 2.014,66 Euro.
Hiergegen erhoben die Klägerinnen mit Schreiben vom 21.10.2020 Widerspruch und führten zur Begründung aus, die Corona-Soforthilfe stelle kein Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin zu 1 dar, dürfe also auch den Leistungsanspruch nicht mindern. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen als unbegründet zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, seine Berechnungen seien zutreffend. Eine Anrechnung der Corona-Soforthilfe als Betriebseinnahme sei nicht erfolgt, sie sei jedoch als Abzugsposten bei den Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Die Erstattungsforderung ergebe sich schließlich aus der Differenz zwischen den vorläufig zu viel gezahlten Leistungen und den tatsächlich zustehenden Leistungen.
Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Corona-Soforthilfe sei zweckgebunden als Zuschuss für den laufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand für die der Antragstellung folgenden drei Monate gewährt worden, mithin allein für April, Mai und Juni 2020. Diese Zweckbindung gebiete es, die Corona-Soforthilfe lediglich von den Betriebsausgaben des letzten Monats des...