Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Kammer folgt nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 15.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, weil sie nach ihrer Auffassung nicht dem Gesetz entspricht (Anschluss an SG Aachen vom 9.2.2007 - S 8 R 96/06 = NZS 2007, 322).
2. Das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - RVAltGrAnpG) vom 20.4.2007 (BGBl I 2007, 554) hat die Kammer in Ihrer Rechtsansicht gestärkt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2007 bewilligte die Beklagte der ... 1949 geborene Klägerin eine bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Beginn der Regelaltersrente) befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mit Beginn am 01. April 2005 (Zahlbetrag 418,89 Euro). In der Rentenberechnung verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um insgesamt 0,108 auf einen Wert von 0,892.
Den hiergegen am 25. Januar 2007 (Eingang bei der Beklagten) erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2007 zurück. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) werde nicht gefolgt.
Mit der am 13. Juli 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die von der Beklagten ausgeübte Praxis, bei einem vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstandenen Recht auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Rentenhöhe auch für Bezugszeiten vor dem Beginn des 61. Lebensjahres zu senken, widerspreche dem Gesetz und finde in ihm keine Grundlage. So habe auch das BSG entschieden.
Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2007 zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Die Entscheidung des BSG vom 16. Mai 2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) entspreche nicht der Rechtsauffassung der Beklagten. Der 4. Senat des BSG stehe mit seiner Rechtsansicht allein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung des Gerichtes vorlagen, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben (Klägerin: Bl. 51 Gerichtsakte; Beklagte: Bl. 52 Gerichtsakte).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Gemäß § 64 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn
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die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, |
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der Rentenartfaktor und |
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der aktuelle Rentenwert |
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Dabei bestimmt § 77 Abs. 1 SGB VI, dass sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn richtet und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Insofern regelt § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0 beträgt. Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI hingegen, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 (d.h. 0,3 %) niedriger ist als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestim...