Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheid. Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur zeitgleichen Entscheidung über Gewährung ergänzender Sachleistungen. minderjähriges Kind im Haushalt. keine gesonderte Antragstellung. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen sind nach § 31a Abs 3 S 2 SGB 2 zwingend zu erbringen, wenn ein oder mehrere minderjährige Kinder im Haushalt des sanktionierten Leistungsberechtigten leben.

2. Ein gesonderter Antrag des Leistungsberechtigten ist hierfür nicht erforderlich.

3. Im Falle des § 31a Abs 3 S 2 SGB 2 führt eine fehlende Entscheidung über ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung des Sanktionsbescheides insgesamt.

 

Tenor

Der Bescheid vom 23. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Absenkung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen wiederholter Pflichtverletzung in der Zeit vom 1. September 2011 bis zum 30. November 2011.

Die 1985 geborene Klägerin lebt gemeinsam mit Herrn M… L… und ihrem am ... … 2005 geborenen Sohn in einem Haushalt. Unter Anrechnung von Einkommen gewährte der Beklagte der Klägerin zuletzt mit Änderungsbescheid vom 16. August 2011 für den 1. September 2011 bis zum 31. September 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 150,25 Euro (Regelleistung: 10,91 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 139,34 Euro) und für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis zum 30. November 2011 monatlich jeweils 152,26 Euro (Regelleistung: 12,92 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 139,34 Euro). Am 4. Mai 2011 bot der Beklagte der Klägerin eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung als Fachkraft in der Betreuung von Senioren und Menschen mit geistiger Behinderung bei dem Träger “z… GmbH„ im Umfang von 30 Stunden wöchentlich an. Er forderte die Klägerin zugleich auf, sich umgehend mit dem Träger der Maßnahme in Verbindung zu setzen. Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 teilte der Träger mit, die Klägerin habe sich nicht gemeldet bzw. nicht vorgestellt.

Nach vorheriger Anhörung (Schreiben vom 9. Juni 2011) stellte der Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 23. August 2011 wegen wiederholter Pflichtverletzung (vorangegangene Pflichtverletzung am 29. Oktober 2010) eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um monatlich 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs, höchstens jedoch in Höhe des ihr zustehenden Gesamtbetrags, für die Zeit vom 1. September 2011 bis 30. November 2011 fest. Den Betrag der Minderung gab der Beklagte mit 150,25 Euro monatlich an. Unter der Überschrift “Ergänzende Sachleistungen„ heißt es in dem Bescheid auszugsweise:

“Mit Anhörungsschreiben vom 9. Juni 2011 wurden Sie darüber informiert, dass Ihnen ergänzende Sachleistungen (Gutscheine) und geldwerte Leistungen gewährt werden können.

Sie haben die Gewährung von Gutscheinen bisher nicht beantragt. Daher werden Ihnen zunächst keine ergänzenden Sachleistungen gewährt.

Ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen können Ihnen auf Antrag noch während des gesamten oben genannten Minderungszeitraums erbracht werden, wenn Sie darauf angewiesen sind. In diesem Fall wenden Sie sich bitte an das Jobcenter Pankow.„

Den von der Bevollmächtigten der Klägerin eingelegten Widerspruch vom 14. September 2011 wies das beklagte Jobcenter mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Ein wichtiger Grund sei aus dem Vorbringen der Klägerin nicht erkennbar. Es sei nach Abwägung der individuellen Interessen mit den Interessen der Allgemeinheit, die die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, für die Klägerin zumutbar gewesen, sich innerhalb von drei Werktagen auf den Vermittlungsvorschlag zu bewerben. Der Widerspruchsbescheid enthielt eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung.

Mit der von ihrer Prozessbevollmächtigten zunächst zum Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie habe sich ordnungsgemäß um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht. Die Vermittlungsvorschläge des Beklagten seien nicht geeignet gewesen. Insbesondere seien die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, welche sie mehrfach dargelegt habe, nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus sei eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung (gemeint ist wohl Rechtsfolgenbelehrung) als Erfordernis für die Absenkung von Leistungen nicht erteilt worden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 23. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtenen Bescheide trotz gerichtlicher Hinweise auf den im Haushalt der Klägerin lebenden Sohn und die fehlende Erbringung ergänzender Leistungen für rechtmäßig. Der ...

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