Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen. Notwendigkeit der Begleitung durch Elternteil und Nutzung eines Pkws. Berechnung der Fahrtkosten
Leitsatz (amtlich)
1. Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung eines behinderten Kindes stellen einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II dar, wenn die Benutzung eines Pkw und die Begleitung durch ein Elternteil notwendig ist.
2. In pauschalierter Betrachtungsweise sind ab der ersten Fahrt entsprechend § 5 Abs 1 Bundesreisekostengesetz (juris: BRKG) 20 Cent je gefahrenen Kilometer anzusetzen (Anschluss an BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R = BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18).
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 1. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2016 sowie des Bescheides vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2016 verurteilt, der Klägerin für die Zeiträume von März bis August 2016 sowie September 2016 bis Februar 2017 einen Mehrbedarf i. H. v. 96,00 € je Bewilligungszeitraum zu bewilligen.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Fahrtkosten zur Reittherapie als Mehrbedarf.
Die im Dezember 2005 geborene Klägerin wird durch ihre allein sorgeberechtigte Mutter vertreten. Die Klägerin und ihre Mutter bilden eine Bedarfsgemeinschaft und beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.
Die Klägerin ist entwicklungsbehindert im Sinne von § 53 Abs.1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sie ist nicht hortfähig und erhält einen Einzeltransport zur Schule, da sie aufgrund ihrer Behinderung auf veränderte Umstände mit Angst- und Panikattacken reagiert. Wegen der Entwicklungsstörung befindet sich die Klägerin in ärztlicher Behandlung.
Die Klägerin nahm und nimmt an einer ärztlich verordneten Reittherapie zur Verbesserung ihrer motorischen Fähigkeiten teil. Die Kosten der privaten Reittherapie trägt die private Krankenversicherung, die Fahrtkosten zur Therapie werden von der Krankenversicherung jedoch nicht übernommen. Zur Reittherapie fährt die Mutter die Klägerin mit eigenem PKW. Hierfür müssen sie eine Fahrtstrecke von 15 km je Fahrt von B. bis nach F. im Land Brandenburg zurücklegen.
Nach Bestätigungen durch die Reittherapeutin Dr. S. hat die Klägerin im Streitzeitraum folgende Anzahl von Therapieterminen wahrgenommen: im März 2016 zweimal, im April 2016 dreimal, im Mai 2016 einmal, im Juni 2016 zweimal, im Juli 2016 viermal, im August 2016 viermal, im September 2016 viermal, im Oktober 2016 fand kein Therapietermin statt, im November 2016 zweimal, im Dezember 2016 zweimal, im Januar 2015 fünfmal und im Februar 2017 zweimal. Wegen der Einzelheiten der Nachweise wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von März bis August 2016 ohne einen Mehrbedarf für die Kosten der Fahrt zur Reittherapie zu berücksichtigen. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos, mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies er auf frühere Widerspruchsentscheidungen, wonach der Regelbedarf nach dem SGB II pauschal gewährt werde und hieraus die Kosten für die Fahrten zur Reittherapie zu bestreiten seien. Ein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II lägen nicht vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. März 2016 Klage erhoben. Sie vertritt die Ansicht, dass eine atypische Bedarfslage vorliege und aus dem Regelsatz die Fahrtkosten für die Reittherapie nicht bestritten werden könnten. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Der Reiterhof, auf dem die Therapie stattfinde, liege im Land Brandenburg. Die Klägerin sei gesundheitlich nicht in der Lage, die Wegstrecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen, denn sie wäre je Fahrt nahezu eine Stunde unterwegs und müsste zweimal umsteigen. Einsparmöglichkeiten seien nicht gegeben. Der Mehrbedarf sei erheblich, da nicht allein die reinen Benzinkosten, sondern auch die Kosten für den Unterhalt des Fahrzeuges - zumindest teilweise - zu berücksichtigen seien.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2016 hat der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter Leistungen für den Zeitraum von September 2016 bis Februar 2017 bewilligt, ohne einen Mehrbedarf für Fahrtkosten zu berücksichtigen. Auf den Widerspruch der Klägerin hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016 den Widerspruch zurückgewiesen. Den Widerspruchsbescheid hat der Beklagte am selben Tag abgesandt. Am 8. und 26. September 2016 hat sich die Mutter der Klägerin beim Beklagten telefonisch nach dem Stand der Bearbeitung erkundigt und auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie ...