Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Einnahmen aus selbstständiger Arbeit. vorläufige Bewilligung. Änderungsbescheid mit Hinweis auf fortbestehende Vorläufigkeit. Klage gegen die endgültige Entscheidung mit Erstattungsforderung. kein Vertrauensschutz nach § 45 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen eine endgültige Festsetzungsentscheidung des Grundsicherungsträgers nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB 2 iVm § 328 Abs 3 S 2 SGB 3 ist eine isolierte Anfechtungsklage unzulässig. Regelmäßig ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage kommt nur dann in Betracht, wenn der Kläger höhere als die ihm vorläufig bewilligten Leistungen begehrt.
2. Die Vorläufigkeit einer Bewilligung entfällt nicht durch den Erlass eines den gleichen Zeitraum betreffenden Änderungsbescheides, wenn dieser am Ende des Bescheidtextes einen Hinweis darauf enthält, dass es bei der Vorläufigkeit verbleibt, wenn Leistungen bisher lediglich vorläufig bewilligt worden sind.
3. Nur die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung, mithin Aussprüche zu Art, Beginn, Dauer und Höhe der Leistung, nicht aber Begründungselemente können in Bindung erwachsen und Vertrauensschutz begründen. Im Kontext des § 328 SGB 3 fehlt die Grundlage für eine Dogmatik, nach der abweichend von allgemeinen Grundsätzen Tatbestandselemente, grundsätzliche Anspruchsvoraussetzungen, Teilelemente oder sogar Begründungselemente eines Verwaltungsaktes eine Bindungswirkung entfalten könnten. Sofern der Betroffene gegen den Vorläufigkeitsvorbehalt im vorläufigen Bescheid keine Anfechtungsklage erhebt und dieser dadurch in Bestandskraft erwächst, obschon der Beklagte den gesamten Bescheid nach § 328 SGB 3 als vorläufig bezeichnet, ist für eine teilweise Bindungswirkung bei Erlass eines endgültigen Bescheides dogmatisch kein Raum.
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung des endgültigen Festsetzungsbescheides des Beklagten vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 6. Mai 2011 (W 1059/11 und W 1888/11) verpflichtet, dem Kläger weitere Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 1. Mai 2009 bis 31. Oktober 2009 in Höhe von monatlich 10,00 EUR zu bewilligen. Der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 6. Mai 2011 (W 1059/11 und W 1888/11) wird aufgehoben, soweit für den Zeitraum 1. Mai 2009 bis 30. Juni 2009 Kosten für Unterkunft und Heizung von mehr als 479,88 EUR monatlich und für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Oktober 2009 Kosten für Unterkunft und Heizung von mehr als 471,88 EUR monatlich zur Erstattung festgesetzt werden.
Der Beklagte wird unter Abänderung des endgültigen Festsetzungsbescheides des Beklagten vom 15. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19. Mai 2011 (W 2288/11 und W 2279/11) verpflichtet, dem Kläger weitere Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 1. April bis 30. April 2009 in Höhe von 117,47 EUR zu bewilligen. Der Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19. Mai 2011 (W 2288/11 und W 2279/11) wird aufgehoben, soweit für den Zeitraum 1. April bis 30. April 2009 Kosten für Unterkunft und Heizung von mehr als 326,89 EUR zur Erstattung festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird für den Beklagten nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Aufhebung zweier endgültiger Festsetzungs- und Erstattungsbescheide über insgesamt 5.202,60 EUR für den Zeitraum 1. April 2009 bis 31. Oktober 2009.
Der 1975 geborene, als Rechtsanwalt zunächst als Angestellter und ab 1. Juli 2008 als Selbständiger tätige Kläger beantragte am 8. Juli 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seitdem bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 30. Oktober 2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 25. November 2008 vorläufig Arbeitslosengeld II u. a. für April 2009 in Höhe von 1.020,17 EUR. Zu den noch ungeklärten Punkten des Leistungsantrages teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum auf Grund seiner Angaben zum voraussichtlichen Einkommen zunächst vorläufig festgesetzt worden seien.
Am 7. April 2009 erhielt der Kläger eine Steuererstattung des Finanzamtes Friedrichshain-Kreuzberg in Höhe von 5.777,51 EUR.
Mit Bewilligungsbescheid vom 4. Mai 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 913,83 EUR monatlich für den Zeitraum 1. Mai 2009 bis 31. Oktober 2009. Die Begründung der Vorläufigkeit entspricht dem Bewilligungsbescheid vom 25. November 2008.
Mit ...