Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Einkommensschwankungen. vorläufige Leistungsbewilligung. monatliches Durchschnittseinkommen. Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens bei der endgültigen Entscheidung. Absetzbeträge. Absetzung der Versicherungsbeiträge im Fälligkeitsmonat. Jahressonderzahlungen als einmalige Einnahmen. Verteilung von einmalige Einnahmen. Unterbrechung des Verteilzeitraums durch Wegfall der Hilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Werden nach vorläufiger Bewilligung von Leistungen auf Basis des zu erwartenden Durchschnittseinkommens Leistungen nunmehr endgültig festgesetzt, kann dieser Festsetzung niemals der Durchschnitt des im Bewilligungszeitraum tatsächlich erzielten Einkommens zugrunde gelegt werden; hierfür existiert keine Rechtsgrundlage. Es ist immer das im jeweiligen Monat erzielte Einkommen zu berücksichtigen. Einzig in dem Ausnahmefall des § 2 Abs 3 S 3 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) kann das ursprünglich erwartete Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt werden.
2. Versicherungsbeiträge gem § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 2 sind in dem Monat abzusetzen, in dem sie fällig sind. Das gilt auch dann, wenn die Beiträge für einen längeren Versicherungszeitraum gezahlt werden (zB quartalsweise). Für eine gleichmäßige Verteilung auf den längeren Zeitraum existiert keine Rechtsgrundlage.
3. Eine einmalige Einnahme kann nicht auf sechs Monate aufgeteilt werden, wenn der Gesamtbedarf einer Bedarfsgemeinschaft bereits durch laufende Einnahmen iS von § 11 Abs 2 SGB 2 vollständig gedeckt ist. Es fehlt dann von vornherein an der gem § 11 Abs 3 S 3 SGB 2 erforderlichen Kausalität, dass der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat entfiele.
Orientierungssatz
1. Zur Berücksichtigung und Ermittlung der Absetzbeträge gem § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 und Nr 5 SGB 2 (hier Versicherungsbeiträge, Kinderbetreuungskosten, Fahrtkosten, Telefonkosten, Nichtberücksichtigung von Studiengebühren des Promotionsstudenten).
2. Zur Berücksichtigung von Jahressonderzahlungen aus nichtselbstständiger Arbeit als einmalige Einnahmen gem § 11 Abs 3 SGB 2 und zur Ermittlung der Absetzbeträge gem § 11b Abs 2 SGB 2.
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 9. Mai 2012 und des Änderungsbescheids vom 9. Mai 2012 für den Zeitraum 1. September 2011 bis 29. Februar 2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren, und zwar jeweils in Höhe des Betrags, der für den jeweiligen Beteiligten und für den jeweiligen Zeitraum in der folgenden Tabelle genannt ist:
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Kläger zu 1. |
Klägerin zu 2. |
Klägerin zu 3. |
Kläger zu 4. |
01.09.2011-30.09.2011 |
32,18 € |
32,18 € |
16,14 € |
13,93 € |
01.10.2011-31.10.2011 |
86,00 € |
86,00 € |
43,13 € |
37,22 € |
01.02.2012-29.02.2012 |
57,18 € |
57,18 € |
28,19 € |
24,75 € |
2. Die Erstattungsbescheide vom 9. Mai 2012 werden insoweit aufgehoben, als darin für die Kläger Kosten der Unterkunft und Heizung zur Erstattung festgesetzt werden für die Zeiträume 1. bis 31. Oktober 2011 und 1. bis 29. Februar 2012 sowie ferner für den Zeitraum 1. bis 30. September 2011, soweit die für den letztgenannten Zeitraum festgesetzte Erstattung für die Kläger zu 1. und 2. jeweils mehr als 15,28 €, für die Klägerin zu 3. mehr als 7,67 € sowie für den Kläger zu 4. mehr als 6,61 € beträgt.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Beklagte hat den Klägern 41 % ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum 01.09.2011 bis 29.02.2012 (im Folgenden kurz: Bewilligungszeitraum).
Die miteinander verheirateten Kläger zu 1. (geboren am ....1984) und 2. (geboren am ...1983) sind die Eltern der Klägerin zu 3. (geboren am ...2003) und des Klägers zu 4. (geboren am ...2006). Für ihre seit dem 01.09.2011 bewohnte Wohnung zahlten die Kläger während des Bewilligungszeitraums eine monatliche Bruttowarmmiete von 782,74 €.
Die Kläger haben mehrere Giro-, Tagesgeld- und Kreditkartenkonten, die am 20.09.2011 jeweils die folgenden Salden aufwiesen:
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Kontoinhaber |
Kontoform |
Saldo |
Kläger zu 1. und 2. |
Girokonto |
- 138,47 € |
Kläger zu 1. und 2. |
Tagesgeldkonto |
+ 214,36 € |
Kläger zu 1. |
Tagesgeldkonto |
+ 1.900,00 € |
Kläger zu 1. |
Kreditkartenkonto |
+ 3,77 € |
Klägerin zu 2. |
Tagesgeldkonto |
+ 2.200,00 € |
Klägerin zu 2. |
Kreditkartenkonto |
+ 6,31 € |
Klägerin zu 3. |
Girokonto |
+ 1,01 € |
Klägerin zu 3. |
Kreditkartenkonto |
+ 1.610,74 € |
Kläger zu 4. |
Girokonto |
+ 1,01 € |
Kläger zu 4. |
Kreditkartenkonto |
+ 1.610,74 € |
Die Kläger zu 1. und 2. sind ferner Versicherungsnehmer diverser Kapitallebens- und Unfallversicherungen, die ausweislich der eingereichten Bescheinigungen (VA 1172-1181) zu den nachstehend genannten Daten jeweils die folgenden Rückkaufswerte hatten:
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Versicherungsnehmer |
Versicherte Person |
Typ |
Datum |
Rückkaufswert |
Kläger zu 1. |
Kläger zu 1. |
Kapitalleben |
01.04.2011 |
1.417,94 € |
Klägeri... |