Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Analogleistungen. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Aufwendungsersatzanspruch des Leistungsträgers nach § 19 Abs 5 SGB 12. Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung erweiterter Sozialhilfe
Orientierungssatz
1. Ein Aufwendungsersatz von nach § 19 Abs 5 SGB 12 gewährten Leistungen setzt zwingend voraus, dass entsprechende Leistungen zuvor gewährt worden sind.
2. Die erweiterte Hilfe kommt nur in Betracht, wenn andernfalls eine rechtzeitige Bedarfsdeckung scheitern würde. Außerdem ist das Einverständnis des Betroffenen mit der Leistungsgewährung gemäß § 19 Abs 5 SGB 12 erforderlich.
Tenor
Die Bescheide des Beklagten vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2020 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zu Recht von dem Kläger für Februar 2020 einen Betrag in Höhe von 211,61 Euro und für März 2020 einen Betrag in Höhe von 282,75 Euro zurückfordern darf.
Der am 26. Juni 1991 geborene Kläger ist afghanischer Staatsbürger und war im streitigen Zeitraum nichtselbständig beschäftigt und erzielte ein anrechenbares Gesamteinkommen in Höhe von 600,61 Euro im Februar 2020 und in Höhe von 671,75 Euro im März 2020, so dass er in dieser Zeit keinen Anspruch auf die Auszahlung des Regelbedarfs nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - i. V. m. § 27a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - gegenüber dem Beklagten hatte. Der Kläger war in dieser Zeit in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Der Beklagte hatte ihm diesbezüglich unter dem 17. Dezember 2019 einen Kostenübernahmeschein für Heimunterbringung für die Zeit vom 17. Dezember 2019 bis zum 14. Juni 2020 ausgehändigt.
Bescheid vom 21. April 2020 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er ihm gemäß § 2 AsylbLG analog § 27 Abs. 3 SGB XII für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis zum 29. Februar 2020 Unterkunftskosten in Höhe von 911,40 Euro gewähre. Diese Hilfe könne gemäß § 19 Abs. 2 SGB XII auch insoweit gewährt werden, als der notwendige Lebensunterhalt aus zu berücksichtigendem Einkommen beschafft werden könne. In diesen Fällen seien dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen zu ersetzen. Das Einkommen liege über seinem leistungsrechtlichen Bedarf ohne Unterkunftskosten. Er müsse sich deshalb an den Unterkunftskosten beteiligen. Die Forderung des Beklagte betrage 211, 61 Euro. Mit weiterem gleichlautenden Bescheid vom 21. April 2020 forderte der Beklagte für März 2020 einen Betrag in Höhe von 282,75 Euro und forderte den Kläger jeweils auf, den Betrag zu zahlen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er verwies darauf, dass sich auf die Vorschrift des § 19 Abs. 2 SGB XII kein Rückforderungsanspruch stützen lasse. Im Übrigen liege keine Verordnung vor, aus der sich eine Nutzungsgebühr oder ähnliches ergebe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2020 hat der Beklagte die Widersprüche des Klägers zurückgewiesen. Tatsächlich sei die falsche Norm zitiert worden. Die Entscheidung stütze sich daher richtigerweise auf § 19 Abs. 5 SGB XII. Die inhaltliche Entscheidung des Ausgangsbescheides sei zutreffend.
Mit seiner am 15. November 2020 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von § 19 Abs. 5 nicht erfüllt seien.
Der Kläger beantragt
die Bescheide des Beklagten vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Den Leistungsempfängern sei bekannt, dass es aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse unter Umständen zu einer Rückforderung der übernommenen Unterkunftskosten kommen möge. Hierin sei ein konkludentes Einverständnis der Leistungsempfänger für diese Form der Hilfeleistung zu sehen.
Wegen des Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Gericht vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung der Kammer gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII haben die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen, in dem Umfang in dem ihnen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Abs. 1 und 2 der Vorschrift möglich oder zuzumuten ist, zu ersetzen.
Die sogenannte erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII ist nur in begründeten Fällen zulässig, denn sie führt dazu, dass der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zunächst nicht eingehalten wird und Leistungen gewährt werden, ...