Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zulässigkeit der Aufrechnung während Privatinsolvenzverfahren
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufrechnung von bestandskräftigen Forderungen des SGB II-Leistungsträgers mit laufenden SGB II- Leistungen ist auch während eines laufenden Privatinsolvenzverfahrens des Leistungsempfängers möglich.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich im Rahmen von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) gegen einen Aufrechnungsbescheid des Beklagten.
Die Klägerin steht im langjährigen Bezug von SGB II- Leistungen. Mit Bescheiden vom 06.04.2011, 24.10.2012 und 28.02.2013 hob der Beklagte seine zuvor erlassenen Bewilligungsbescheide teilweise auf und forderte von der Klägerin einen Betrag in Höhe von insgesamt 1.102,12 € zurück. Die genannten Bescheide erwuchsen in Bestandskraft. Mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 29.12.2011 (Az.: 274 IK 939/11 b) wurde über das Vermögen der Klägerin das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 18.12.2012 wurde sodann die Restschuldbefreiung rechtskräftig angekündigt, soweit die Klägerin während der Wohlverhaltensperiode die Obliegenheiten gemäß § 295 InsO erfüllte. Die Wohlverhaltensperiode begann am 29.12.2011 und endete nach 6 Jahren, mithin am 29.12.2017. Mit Beschluss vom 16.02.2018 wurde der Klägerin die Restschuldbefreiung erteilt.
Bereits zuvor - mit Bescheid vom 01.12.2016 - erklärte der Beklagte nach erfolgter Anhörung gemäß § 43 SGB II die monatliche Aufrechnung des Betrags von 1.102,12 € mit den laufenden Leistungen in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 12.12.2016 Widerspruch und verwies zur Begründung u.a. auf ihre Privatinsolvenz. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2017 zurückgewiesen. Zur Begründung erläuterte der Beklagte die Vorschrift des § 43 SGB II und erklärte, das Interesse der Klägerin, dass zumindest für die Dauer der Privatinsolvenz keine Aufrechnung der Forderung mit ihren laufenden Leistungen vorgenommen werde, müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse, sparsam und wirtschaftlich mit Steuermitteln umzugehen sowie gleiche Sachverhalte in gleicher Weise zu behandeln, zurücktreten. Der Aufrechnung stehe auch nicht entgegen, dass über das Vermögen der Klägerin ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Es sei nicht im öffentlichen Interesse, zunächst die privaten Schulden und erst danach die öffentlich-rechtlichen Forderungen des Beklagten zu tilgen.
Am 09.05.2017 hat die Klägerin Klage erhoben und sodann mit Schriftsatz vom 24.05.2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (Az.: S 44 AS 246/17 ER). Mit Schriftsatz vom 29.05.2017 erklärte der Beklagte hierauf, durch Einlegung der Klage sei eine aufschiebende Wirkung eingetreten. Der bereits für den Monat Mai 2017 aufgerechnete Betrag in Höhe von 40,90 € sei der Klägerin zurücküberwiesen worden. Mit Schriftsatz vom 30.05.2017 erklärte die Klägerin hierauf ihren Antrag für erledigt.
Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin u.a. aus, die Aufrechnung sei aus formalen und materiellen Gründen rechtswidrig. Eine Aufrechnung mit Leistungen nach dem SGB II sei während eines laufenden Insolvenz- bzw. Restschuldbefreiungsverfahrens grundsätzlich unzulässig. Darüber hinaus sei § 43 SGB II verfassungswidrig, weil die Leistungsberechtigten gezwungen seien, für längere Zeit mit Geldleistungen unterhalb des Existenzminimums zu leben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 01.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Trotz eines laufenden Insolvenzverfahrens bleibe § 43 SGB II anwendbar. So habe auch bereits das Sozialgericht Aurich entschieden (Urteil vom 09.02.2012 - S 35 AS 16/11).
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakte des Verfahrens S 44 AS 246/17 ER und die Verwaltungsakte des Beklagten (1 Band) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zulässig aber unbegründet.
Der Bescheid vom 01.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage für die Aufrechnungsentscheidung des Beklagten ist § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II. Danach können die SGB II-Leistungsträger Ansprüche von leistungsberechtigten Personen auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die auf § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 50 SGB X beruhen, 10 Prozent des für die leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs.
a) Die formalen Voraussetzungen des § 43 SGB II lagen hier ...