Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Kontaktlinsen. Abonnement-Vertrag mit laufender Ratenzahlung. laufender Bedarf. Ablehnung der Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenversicherung. Erforderlichkeit der Kontaktlinsen zum Ausgleich der Sehschwäche

 

Orientierungssatz

1. Die Kosten für die regelmäßige halbjährliche Versorgung mit Kontaktlinsen im Rahmen eines Abonnement-Vertrages mit Ratenzahlung können grundsätzlich einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 SGB 2 darstellen.

2. Hat die zuständige Krankenkasse die Versorgung mit Kontaktlinsen durch Bescheid und Widerspruchsbescheid nach den Vorschriften des SGB 5 abgelehnt, obwohl aus Sicht des Gerichts kein Zweifel an der Erforderlichkeit der Visus-Korrektur durch Kontaktlinsen besteht, so kann ein unabweisbarer laufender besonderer Bedarf nach § 21 Abs 6 SGB 2 anerkannt werden.

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und der Klägerin die Kosten für Kontaktlinsen i. H. v. monatlich 66,00 € für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und i. H. v. 68,00 € monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 zu erstatten.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Übernahme der Kosten für ein Kontaktlinsen-Abo in Höhe von monatlich 66,00 bzw. 68,00 €.

Die 1957 geborene Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Insofern waren ihr mit Bescheid vom 01.09.2016 (Bl. 206 f. der Verwaltungsakte) für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 31.05.2017 Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich 917,39 € und in Höhe von monatlich insgesamt 861,39 € für die Zeit vom 01.06.2017 bis 30.09.2017 gewährt worden.

Am 12.10.2016 (Bl. 219 der Verwaltungsakte) stellte die Klägerin einen Antrag bei dem Beklagten, „ihr ihre fixen und variablen Kosten aus Zuzahlungen der Krankenkasse, die aus Arztverordnungen resultierten, zu übernehmen“. Mit Bescheid vom 13.10.2016 (Bl. 220 f. der Verwaltungsakte) hatte der Beklagte dies abgelehnt mit der Begründung, dass Sonderleistungen nur gemäß § 24 Abs. 3 SGB II gewährt werden könnten, weitere einmalige Sonderleistungen (z.B. die Übernahme der Gebühren für Zuzahlungen der Krankenkasse für therapeutische Anwendungen oder ähnliches) das SGB II jedoch nicht vorsehe. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 01.12.2016 (Bl. 222 f. der Verwaltungsakte) stellte die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X. Ausgeführt wurde, dass nach dortiger Auffassung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 S. 1 SGB X bestehe. Hiernach sei bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anzuerkennen, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Mit Bescheid vom 01.12.2016 (Bl. 225 der Verwaltungsakte) lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 13.10.2016 ab. Ein Verwaltungsakt sei, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Der Bescheid vom 13.10.2016 sei jedoch nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden. Gegen diesen Bescheid wurde über den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 06.12.2016 (Bl. 230 der Verwaltungsakte) Widerspruch erhoben. Der Beklagte habe den Sachverhalt unter Berücksichtigung der §§ 20 und 21 SGB X gegebenenfalls erneut zu untersuchen und zu bewerten. Mit Schreiben vom 07.03.2017 konkretisierte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag dahingehend, dass die Kosten für ein Monats-Abo für Kontaktlinsen begehrt würden. Vorgelegt wurde insofern eine Rechnung des Augenoptikers „B.“ vom 29.09.2016. Hierin wurde ein Rechnungsbetrag i. H. v. 792,00 € ausgewiesen bei monatlich anfallenden Raten i. H. v. 66,00 € ab dem 01.07.2016 bis zum 01.06.2017.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.12.2016 als unbegründet zurück. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II werde bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Der Mehrbedarf sei unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt sei und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Vorliegend sei kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6...

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