Leitsatz (amtlich)

1. Für die Feststellung des Merkzeichens aG ist die Ein- und Aussteigesituation in das und aus dem Kraftfahrzeug und der gesundheitlich dafür benötigte Platz unbeachtlich.

2. Eine gelegentliche Sturzgefahr rechtfertigt das Merkzeichen aG grundsätzlich nicht.

3. Auch bei der Bemessung des mobilitätsbezogenen GdB müssen nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen ärztlich diagnostiziert sein.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger macht im Rahmen des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) die Zuerkennung des Merkzeichens aG für eine außergewöhnliche Gehbehinderung geltend.

Der Beklagte hatte ursprünglich bei dem 1940 geborenen Kläger mit Bescheid vom 14.01.2015 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 und das Merkzeichen G ab dem 01.12.2013 anerkannt und seine Entscheidung auf die Funktionsbeeinträchtigungen Folgen nach Spinalkanalstenosenoperation in Höhe zwischen dem 12. Brustwirbel und 1. Lendenwirbel mit einem Einzel-GdB 50 und Verschleiß beider Kniegelenke mit Knie-TEP links, Totalendoprothesenimplantation rechte Hüfte, Pfannenlockerung rechts mit einem Einzel-GdB 40 gestützt. Ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB blieb die Funktionsbeeinträchtigung Hörminderung, Tinnitus mit einem Einzel-GdB 20.

Am 27.08.2019 beantragte der Kläger einen höheren GdB und das Merkzeichen aG ab Antragstellung. Als Gesundheitsstörungen machte er außergewöhnliche Gehbehinderung geltend. Mit dem Antrag übersandte der Kläger eine Begründung, ärztliche Berichte, eine Verordnung für häusliche Krankenpflege und einen Rehaentlassungsbericht von der G. Klinik H..

Der Beklagte holte Befundscheine von Herrn Dr. I. (Internist), Herrn Dr. J. (Orthopäde) und Herrn K. (HNO-Arzt) ein. Der Kläger übersandte auf Nachfrage ein Sprachaudiogramm. Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von seinem ärztlichen Dienst ein und stellte mit Bescheid vom 02.12.2019 einen GdB von 80 und das Merkzeichen B ab dem 27.08.2019 fest. Die Zuerkennung des beantragten Merkzeichens aG lehnte er ab. Seine Entscheidung stützte der Beklagte auf die Funktionsbeeinträchtigungen Folgen nach Spinalkanalstenosenoperation in Höhe zwischen dem 12. Brustwirbel und 1. Lendenwirbel mit einem Einzel-GdB 50, Verschleiß beider Kniegelenke mit Knie-TEP links, Totalendoprothesenimplantation rechte Hüfte mit einem Einzel-GdB 40 und Wiederkehrende Gleichgewichtsstörungen und Schwindel mit einem Einzel-GdB 30. Ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB blieb die Funktionsbeeinträchtigung Hörminderung, Tinnitus mit einem Einzel-GdB 20.

Mit Schreiben vom 23.12.2020 erhob der Kläger Widerspruch und begründete diesen.

Der Beklagte holte eine Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2020 den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 11.06.2020 Klage erhoben, diese begründet und medizinische Unterlagen übersandt. Insbesondere hat der Kläger dargelegt, dass er sich ohne Gehhilfen überhaupt nicht fortbewegen könne. Entweder müsse er den Rollstuhl oder zwei Gehstützen benutzen. Selbst mit den Gehhilfen sei die Fortbewegung äußerst mühsam. Geringe Bodenunebenheiten könne er nicht überwinden, der freie Stand sei unmöglich. Darüber hinaus müsse er aufgrund seiner Fußheberschwäche beim Einsteigen in sein Fahrzeug die Fahrertür weit öffnen, um sich an der Tür oder dem Türrahmen festhalten zu können und mit der anderen Hand den Fuß in das Auto hineinziehen. Dies lasse sich aber nur auf einem entsprechend breiten Parkplatz vollziehen. Bereits wiederholt sei dem Kläger widerfahren, dass er bei seiner Rückkehr zu seinem in einer normalen Parkbucht abgestellten Auto das benachbarte Auto zu nah an seiner Fahrertür stand, so dass er auf die Rückkehr des anderen Fahrers warten musste, um nach dessen Wegfahren einsteigen zu können.

Weiter hat der Kläger vorgetragen, dass durch seine erheblichen und sofortigen Gleichgewichtsstörungen eine große Sturzneigung bestünde. Er sei bereits wiederholt gestürzt, überwiegend Zuhause und überwiegend ohne schwere Folgen. Ein Sturz am 01.09.2022 habe aber zu einem dreitägigen Krankenhausaufenthalt geführt. Bereits wenn zu starke Windstöße kämen, würde er gleich umfallen. Bei Glätte und wenn es zu heiß sei, könne er mit seinen Unterarmgehstützen gar nicht gehen.

Das Gericht hat von November 2020 bis Juni 2021 Befundberichte von Herrn Dr. J. (Orthopäde), Herrn K. (HNO-Arzt), Frau Dr. L. (Allgemeinmedizinerin) und Herrn Dr. M. (Nervenarzt) eingeholt.

Mit Beschluss vom 25.10.2021 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens und Herrn Dr. N. als Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat dem Gericht das Gutachten zum 28.12.2021 erstattet (Untersuchungsdatum 14.12.2021). Zum Gutachten hat der Kläger vorgetragen, dass die im Gutachten festgestellten Zustände die Zuerkennung des Merkzeichens aG rechtfertigen würden, allerdings entgegen der nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen des Guta...

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