Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG. "gewaltlose" Nachstellungen. schweres verbales Stalking. schwere psychische Schädigung
Leitsatz (amtlich)
Verbales Stalking erfüllt nicht die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1950 geborene Klägerin war etwa zwei Jahre lang mit dem SJ. (im Folgenden: Nachsteller) liiert. Nach wechselhafter Beziehung trennte sie sich von ihm und wollte jeglichen Kontakt abbrechen, was der Nachsteller jedoch nicht akzeptierte. Schon früh begann er, der Klägerin und ihren Angehörigen mit Telefonanrufen zuzusetzen. So rief er beispielsweise am 6. März 2002 bei der Mutter der Klägerin an und teilte ihr mit, in wenigen Minuten werde ihre Tochter tot sein. Einige Minuten später meldete er sich wieder bei der Mutter und sagte, die Tochter sei nun tot. Die von der Mutter der Klägerin daraufhin verständigte Polizei nahm in der Wohnung der Klägerin noch weitere Anrufe des Nachstellers entgegen; bei einem dieser Anrufe äußerte der Nachsteller: “Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben.„ Der Nachsteller ließ der Klägerin keine Ruhe. Er “bombardierte„ die Klägerin mit einer Unmenge von Handzetteln und Briefen, mit Anrufen und SMS. Allein im Zeitraum Mitte April bis Mitte Mai 2003 gingen auf dem Handy der Klägerin 390 SMS und Anrufe des Nachstellers ein. Er wartete vor ihrem Haus auf sie und stieß Drohungen des Inhalts aus, dass der Klägerin oder ihren erwachsenen Kindern etwas zustoßen würde, z.B. dass sie in vier Wochen tot seien. Der Nachsteller hielt sich permanent im Bereich des Hauses oder der Arbeitsstelle der Klägerin auf und verfolgte sie auf ihren Wegen. Bei Versandhäusern bestellte er Waren auf ihren Namen; auch rief er wegen einer angeblichen Massenschlägerei die Polizei zu ihrer Wohnung.
Die Klägerin erwirkte deshalb gegen den Nachsteller eine Verfügung des Amtsgerichts Bremerhaven vom 19. August 2003 (Az.: 52 C 1713/03) nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG), wonach dem Nachsteller jegliche Art der Kontaktaufnahme und die Annäherung auf 100 m untersagt wurden. Diese Verfügung wurde dem Nachsteller auch zugestellt.
Dennoch kam es zu weiteren Briefen, Anrufen und Verfolgungen. Unter anderem warf der Nachsteller am 26. Juli 2003 einen Brief in den Briefkasten der Klägerin ein, in dem er schrieb: “Du bekommst ab dem 2.8. deine Ruhe, aber anders als du denkst. Ich habe sehr viel angeleiert„. Der Nachsteller wurde daraufhin vom Amtsgericht Bremerhaven wegen Bedrohung und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem GewSchG in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt (Urteil vom 23. November 2004, Az.: 21 Ds 962 Js 31324/03). Die Freiheitsstrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt mit der Auflage, nunmehr jeglichen Kontakt zu der Klägerin zu unterlassen. Da der Nachsteller sich in der Folgezeit nicht daran hielt, erfolgte der Widerruf der Bewährung.
Durch weiteres Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 4. Oktober 2005 (Az.: 21 Ds 990 Js 16758/05) wurde der Nachsteller wegen Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem GewSchG in 6 Fällen, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und in 1 Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wie wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dabei lagen der Verurteilung wegen Zuwiderhandlung gegen die vollstreckbare Anordnung unter anderem folgende Vorgänge zugrunde: Der Nachsteller teilte am 29. Dezember 2004 dem Sohn der Klägerin telefonisch mit, er werde die Klägerin Stücke reißen; ihr selbst sagte er am selben Tage, es werde kein Pardon mehr geben. Am 30. Dezember 2004 rief er wieder den Sohn der Klägerin an und sagte, es werde jetzt “tabula rasa„ und “Krieg„ geben. Die Folgen, das eine Jahr Haft, werde er dann eben “auf einer Arschbacke absitzen„. Die Klägerin aber werde mindestens 1 Jahr ins Krankenhaus gehen.
Bei alledem hatte die Klägerin versucht, sich durch Beantragung einer Geheim-Telefonnummer und durch Umzug dem Zugriff des Nachstellers zu entziehen. Dieser hatte aber die neue Telefonnummer und den neuen Aufenthaltsort herauszufinden vermocht.
Die Klägerin erlitt durch die Nachstellungen schwere depressive Störungen. Vom 2. März 2004 bis zum 11. Mai 2004 musste sie im allgemeinpsychiatrischen Bereich der Klinik Dr. QP. stationär behandelt werden. Als Diagnose wurde im Entlassungsbericht vom 18. Juni 2004 “Schwere depressive Episode bei posttraumatischer Belastungsstörung„ genannt. Die Klägerin ist gesundheitlich nicht mehr in der Lage, einer Arbeit und insbesondere ihrer früheren Tätigkeit als Nachtwache in einer Behindertenwohnst...