Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer besonderer Bedarf. FFP2-Masken. Glaubhaftmachung eines Bedarfs im konkreten Einzelfall. Verwirklichung des Tatbestandes einer Körperverletzung bei Tragung einer OP-Maske. Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II setzt die Glaubhaftmachung eines solchen im konkreten Einzelfall voraus. Ein solcher Anspruch kann nicht pauschal für alle SGB II-Leistungsempfänger mit der Begründung angenommen werden, dass der Gesetzgeber für bestimmte Personengruppen in bestimmten Einrichtungen das Tragen von solchen vorgeschrieben hat (entgegen SG Karlsruhe vom 11.2.2021 - S 12 AS 213/21 ER und vom 11.3.2021 - S 12 AS 565/21 ER).

2. Durch das Tragen von OP-Masken verwirklichen die Leistungsempfänger nicht den Tatbestand der §§ 223ff StGB (entgegen SG Karlsruhe vom 11.2.2021 - S 12 AS 213/21 ER und vom 11.3.2021 - S 12 AS 565/21 ER).

3. Die Leistungsempfänger können auf Einsparmöglichkeiten verwiesen werden, die sich aufgrund des pandemiebedingten Wegfalls bestimmter im Regelsatz enthaltener Bedarfe ergeben.

 

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

2. Der Antrag auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller die Gewährung eines Mehrbedarfs für den Erwerb von FFP2-Masken nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der 1961 geborene Antragsteller steht im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II beim Antragsgegner. Er ist alleinstehend und bewohnt eine Mietwohnung, für die monatlich Unterkunftskosten in Höhe von 235,00 € Grundmiete, 94,67 € Nebenkosten sowie 74,50 € Heizkosten anfallen. Er gehört nach eigenem Vorbringen aufgrund des „kaputten Immunsystems“ zur SARS-Cov-2-Hochrisikogruppe und leidet darüber hinaus an chronisch allergischem Schnupfen. Er übt nach eigenen Angaben in Heimarbeit eine selbständige Tätigkeit in freier Texterstellung aus. Die voraussichtlichen Einnahmen für den Zeitraum vom November 2020 bis April 2021 schätze er auf monatlich 50,00 €. Mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für den Zeitraum November 2020 bis April 2021 in Höhe von 836,17 €. Mit Änderungsbescheid vom 21. November 2020 passte er die bewilligten Regelsätze für die Zeit vom Januar 2021 bis April 2021 an und bewilligte ab Januar 2021 Leistungen in Höhe von insgesamt 850,17 €. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 28. Dezember 2020 bewilligte er Leistungen für den Zeitraum vom Januar 2021 bis April 2021 in Höhe von 857,22 € und berücksichtigte dabei die ab Januar 2021 vorgenommene Mieterhöhung. Ein am 22. Januar 2021 erlassener weiterer Änderungsbescheid wurde auf Widerspruch des Antragstellers vom 22. Februar 2021 wieder aufgehoben.

Am 26. Februar 2021 beantragte der Antragsteller die Gewährung eines Mehrbedarfs für FFP2-Schutzmasken aufgrund der verschärften Maskenpflicht beim Antragsgegner. Er berief sich auf die Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe zum Aktenzeichen S 12 AS 213/21 ER. Hinsichtlich des Maskeneinzelpreises sei von 1,50 € auszugehen. Insgesamt machte er folgende Kosten geltend:

- Nachzahlung in Höhe von 34,50 € für den Zeitraum vom 23. Januar 2021 bis 31. Januar 2021, da die Sachleistung nachträglich nicht erbringbar sei;

- Nachzahlung in Hohe von 129,00 € für den Zeitraum vom 1. Februar 2021 bis 28. Februar 2021, da die Sachleistung vor Monatsende offenkundig nicht mehr erbringbar sei;

- 86 FFP2-Schutzmasken als Sachleistung oder als Auszahlung in Höhe von 129,00 € für den Zeitraum vom 1. März 2021 bis 31. März 2021;

- 86 FFP2-Schutzmasken als Sachleistung oder als Auszahlung in Höhe von 129,00 € für den Zeitraum vom 1. April 2021 bis 30. April 2021.

Für den absehbaren Fall des Leistungsbezugs über den 30. April 2021 hinaus, beantragte er zugleich die Gewährung von 86 FFP2-Schutzmasken als Sachleistung oder als Auszahlung in Höhe von 129,00 € für den Zeitraum vom 1. Mai 2021 bis 31. Mai 2021 sowie weiteren 60 FFP2-Schutzmasken als Sachleistung oder als Auszahlung in Höhe von 90,00 € für den Zeitraum vom 1. Juni 2021 bis 20. Juni 2021.

Mit Bescheid vom 3. März 2021 lehnte der Beklagte die Gewährung des Mehrbedarfs ab. Der Vortrag werde als Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bewilligungsbescheids vom 27. Oktober 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 28. Dezember 2020 und vom 22. Januar 2021 gewertet. Die Überprüfung habe ergeben, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Ein Mehrbedarf für unabweisbare, einmalige besondere Bedarfe in Härtefällen sei nach § 21 Abs. 6 SGB II bei l...

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