Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.07.2022; Aktenzeichen B 9 V 3/22 B)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).

Der 1986 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger mit kurdischem Hintergrund, wurde am 4. September 2009 auf dem Nachhauseweg von der Abendschule in der S-Bahn von einem Mitschüler, Herrn C. M., durch einen Faustschlag im Gesicht verletzt.

Der Kläger erlitt eine Schwellung am rechten Jochbein sowie eine Platzwunde, die im Krankenhaus genäht werden musste. Wegen dieser Tat erließ das Amtsgericht Groß-Gerau gegen Herrn M. einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Die Höhe eines Tagessatzes wurde auf 20 € festgesetzt.

Der Kläger versuchte in der Folgezeit erfolglos, einen Schulverweis gegen den Täter zu erreichen. Der Kläger selbst war nach der Tat für einen Monat arbeitsunfähig und unterbrach die Schule für sieben Monate.

Anfang Dezember 2011 bestand der Kläger sein Abitur, parallel zur Absolvierung der Abendschule war der Kläger berufstätig.

Nach der Tat kam es zu weiteren Zusammentreffen zwischen dem Kläger und dem Täter bzw. der Familie des Täters in den Jahren 2009, 2012 und 2015, bei denen der Kläger sich durch den Täter bzw. dessen Familie bedroht fühlte. Die vom Kläger im selben Zeitraum gestellten Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung und Bedrohung stellte die Staatsanwaltschaft Darmstadt jeweils ein. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Täter wies das Amtsgericht Rüsselsheim mit Beschluss vom 28. November 2012 zurück.

Der Kläger beantragte am 23. Dezember 2011 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG wegen eines tätlichen Angriffs durch einen Mitschüler. Infolge des Angriffs leide er an Schlafstörungen, permanenter Müdigkeit, Konzentrationsstörungen sowie Trägheit. Er schlafe an manchen Tagen 14-16 Stunden.

In einem von dem Beklagten angeforderten Befundbericht teilte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D. am 3. August 2012 mit, bei dem Kläger beständen neben den körperlichen Verletzungen (Platzwunde rechte Stirn, Verstauchung der Halswirbelsäule sowie einer Prellung des linken Unterarmes) psychische Folgen, da er an einem krankhaften Schlafbedürfnis leide. Dem Befundbericht war ein Arztbrief von Frau Dr. E. beigefügt, die über eine Vorstellung des Klägers am 19. Februar 2010 im Schlaflabor berichtete, dass das Schlafproblem des Klägers seit der Schulzeit bestehe, die Tagesmüdigkeit nach dem Vorfall mit Gewaltandrohung zunehmend sei.

Beigefügt war weiterhin ein Arztbrief des Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie vom 22. September 2010 mit der Diagnose eines krankhaft gesteigerten Schlafbedürfnisses nach traumatischen Erfahrungen, ohne Hinweis auf organische Schädigung.

In einem weiteren von dem Beklagten angeforderten Befundbericht teilte der Diplompsychologe H. unter dem 15. August 2012 mit, dass er die Diagnose rezidivierende depressive Störung bei Verdacht auf F60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung mit passiv-aggressiven Anteilen gestellt habe. Er habe den Kläger als durchaus therapiebedürftig eingeschätzt, dieser sei jedoch in seinem Denken wenig beweglich gewesen und habe andere Sichtweisen nicht annehmen können.

Unter dem 10. Oktober 2012 erfolgte eine Begutachtung nach dem OEG durch die Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Sozialmedizin Frau Dr. F. Diese führte aus, dass nach der hier erhobenen Anamnese und dem Untersuchungsbefund die diagnostischen Erwägungen des Psychotherapeuten von 2011 nicht nachzuvollziehen seien. In der Anamnese fehle jeder Nachweis für eine weitere depressive Episode. Auch die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung stelle sich nicht dar, vielmehr die verstärkte Wachsamkeit und erhöhte Vorsicht nach traumatischer Erfahrung. Weiterhin diagnostizierte Frau Dr. F. in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 15. November 2012 eine posttraumatische Verbitterungsstörung. Im Vordergrund stehe ein Verbitterungsaffekt bei dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, mit wahrnehmbarer Gereiztheit bei sonst normalem Affekt. Ein Erinnern an die Tat werde berichtet mit dem Gefühl, in die Opferrolle hineingerutscht zu sein und Rachegedanken zu spüren. Begleitet würden die psychischen Symptome von vermehrtem Schlafbedürfnis. Zugrunde liegend sei eine Persönlichkeit mit perfektionistischem Anspruch und hohem Gerechtigkeitsgefühl, das von der kulturellen Zugehörigkeit geprägt werde. Es sei dem Kläger trotzdem nach der Schädigung gelungen, neben seiner Berufsausübung das Gymnasium mit dem Abitur zu beenden. Das schädigende Ereignis sei allein Ursache für die seelische Störung. Eine psychische Vorerkrankung im Sinne einer behandlungsbedürftigen Störung sei nicht feststellbar. Sie sehe einen GdS von 20 für die seelische Störung ab Antragstellung an und einen GdS unter...

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