Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Behinderten auf Familienversicherung ohne Altersgrenze
Orientierungssatz
1. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB 5 ist ein Kind ohne Altersgrenze familienversichert, sofern es die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt und behinderungsbedingt außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Behinderung muss zu einem Zeitpunkt vorgelegen haben, in dem das Kind nach § 10 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGB 5 versichert war.
2. Eine Behinderung i. S. des § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB 5 liegt u. a. vor, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, sondern nur noch unter den beschützenden Bedingungen in einer Einrichtung des betreuten Wohnens zu leben.
3. Die Behinderung muss den Betroffenen dauerhaft daran hindern, sich selbst zu unterhalten, d. h. eine Erwerbstätigkeit von gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und einen Verdienst oder sonstiges Einkommen zu erzielen, das dem Bestreiten seines Lebensunterhalts dient.
Tenor
Unter Aufhebung des Bescheides vom 03.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2002 wird festgestellt, dass die Klägerin über den 03.05.1995 hinaus bei der Beklagten familienversichert ist.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Gründe
I.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Familienversicherung ohne Altersgrenze.
Die am 00.00.1972 geborene Klägerin leidet an den Folgen einer Polytoxikomanie mit Persönlichkeitsabbau sowie einem organischen Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten und einer spastischen Gangstörung bei Zustand nach einer im Rahmen einer kombinierten Alkohol-, Drogen- und Medikamentenintoxikation am 20.01.1988 erlittenen toxischen Hirnschädigung. Sie stand deswegen vom 22.02.1989 bis zum 06.08.1991 in stationärer Behandlung des neurologischen Rehabilitationskrankenhauses für Kinder und Jugendliche in H; weiteren, nach Entlassung vorgesehenen Eingliederungsmaßnahmen entzog sie sich. Ein arbeitsamtsärztliches Gutachten von Dr. G, Arbeitsamt Herford, vom 15.01.1992 beurteilte insoweit seinerzeit das Leistungsvermögen der Klägerin dahingehend, dass bei noch deutlicher spastischer Störung der unteren Gliedmaßen, Labilität, geminderter Konzentrationsfähigkeit und dauerhaften Folgen des toxischen Hirnschadens die Klägerin nicht in der Lage sei, einer leistungsbezogenen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzukommen; anzustreben sei eine Eingliederung in eine Werkstatt für Behinderte. Das Versorgungsamt Stuttgart stellte mit Bescheid vom 16.08.1990 wegen der verbliebenen Behinderungen einen Grad der Behinderung -GdB- von 80 vom Hundert (v.H.) unter Zuerkennung der Nachteilsausgleiche G, B und H fest, wobei es den GdB mit weiterem Bescheid mit Wirkung zum 25.01.1993 unter Aberkennung des Nachteilsausgleiches H mit der Begründung, die Behinderungen hätten sich gebessert, herabsetzte; Grundlage hierfür waren Angaben des Orthopäden Dr. B aus S in einem Befundbericht vom 23.07.1992 über einen guten Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin. Eine Erwerbstätigkeit hat die Klägerin niemals ausgeübt. Erstmals stand sie wegen epileptischer Krampfanfälle, deren Ursache in einer weiter bestehenden Polytoxikomanie bei fortlaufendem Alkoholmissbrauch gesehen wurden, vom 18.10. bis 21.10.1994 in stationärer Behandlung der Psychiatrischen Klinik des Krankenhauses M; zahlreiche weitere stationäre Behandlungen erfolgten ab 1998 im Sinne stationärer Entgiftungsbehandlungen bei wiederkehrenden cerebralen Krampfanfällen, wobei sich einer zunehmender körperlicher Verfall und Persönlichkeitsabbau aufzeigte. Es erfolgte deshalb 2002 die Aufnahme der Klägerin in der Betreuungs- und Pflegeeinrichtung H1 in R. Zu Krampfanfällen ist es seitdem nicht mehr gekommen.
Über ihren Vater X E als Stammversicherten, welcher seit dem 12.02.1987 bei der Beklagten krankenversichert ist, bestand für die Klägerin bis zum 03.05.1995, der Vollendung ihres 23. Lebensjahres, eine Familienversicherung. Die Klägerin beantragte im Juni 2000 Feststellung, auch hierüber hinaus familienversichert zu sein und machte geltend, seit 1988 aufgrund dauerhafter Behinderung wegen des toxischen Hirnschadens sowie der spastischen Lähmungen nicht in der Lage zu sein, sich selbst zu unterhalten. Antragsunterstützend verwies sie auf eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. U, F (vom 19.06.2000), bei welchem sie im Mai 1997 in Behandlung stand, sowie einen Behandlungsbericht der Klinik für Psychiatrie des Krankenhauses M über dortige stationäre Behandlung vom 09.10. bis 26.11.1999 wegen der bekannten Leiden.
Mit Bescheid vom 03.07.2000 stellte die Beklagte fest, eine Familienversicherung über den Stammversicherten sei nicht möglich, da nicht nachgehalten werden könne, wann die Behinderung eingetreten sei. Mit dem hiergegen am 21.05.2001 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Behinderung bestehe zumindest seit 1988; da sie zum damaligen...