Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe für einen in den Eingangs- und Bildungsbereich einer Werkstatt für Behinderte Aufgenommenen ohne Prüfung dessen Erwerbsminderung

 

Orientierungssatz

1. Voll erwerbsgeminderten Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen bestreiten können, ist nach § 41 Abs. 1 SGB 12 auf Antrag Grundsicherung bei Erwerbsminderung zu bewilligen. Die Prüfung, ob volle Erwerbsminderung vorliegt, findet nach § 45 S. 1 SGB 12 nicht durch die Sozialbehörde selbst statt, sondern auf deren Ersuchen durch den Rentenversicherungsträger.

2. Die volle Erwerbsminderung wird vom Gesetzgeber in den Fällen des § 45 S. 3 Nrn. 1 bis 4 SGB 12 unterstellt. Bei einem schwerbehinderten Menschen, der in den Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Behinderte aufgenommen worden ist, ist davon auszugehen, dass dieser dauerhaft voll erwerbsgemindert ist.

 

Tenor

Der Bescheid vom 11.09.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 13.12.2017 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin gemäß Antrag vom 28.07.2017 ergänzende Leistungen der Grundsicherung ab Erreichen der Volljährigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Leistungen der Grundsicherung bei Trisomie 21.

Die am 00.00.1999 geborene Klägerin ist aufgrund einer Trisomie 21 schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und H. Sie hat seit der Volljährigkeit ihre Eltern zu jeweiligen Betreuern.

In einem amtsärztlichen Gutachten des Kreises Herford vom 30.06.2016 wurde festgestellt, dass die Klägerin aufgrund ihrer geistigen Behinderung bei Trisomie 21 aufgrund der Summe der Einschränkungen zum Personenkreis des § 53 SGB XII gehört und die Aufnahme in eine Werkstatt für geistig behinderte Menschen geeignet und aus jetziger Sicht dauerhaft erforderlich sei. Seit dem 24.08.2016 bis zum 23.11.2018 nimmt die Klägerin an der befürworteten Maßnahme im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen in I teil. Sie erhält ein monatliches Ausbildungsgeld vom 67,00 Euro im ersten und von 80,00 Euro im zweiten Ausbildungsjahr.

Die Klägerin beantragte ab dem Erreichen der Volljährigkeit die Gewährung von ergänzenden Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 11.09.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie sei daran gehindert, die Voraussetzungen des Vorliegens einer dauerhaften Erwerbsminderung festzustellen. Grundsätzlich sei ein Ersuchen zur Feststellung der vollen Erwerbsminderung nach § 45 SGB XII an den Rententräger zu richten. Allerdings seien durch die Gesetzänderung zum 01.07.2017 rechtliche Regelungen in Kraft getreten, die in § 45 S. 3 SGB XII Ausnahmen vom Ersuchen an den Rentenversicherungsträger festlegten.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergebe sich aus § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII in der seit 1. Juli 2017 geltenden Fassung, dass bei Personen, die den Eingangs- und Berufsbildungsbereich durchlaufen ebenso wie bei Personen, die im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigt sind, vom Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung auszugehen ist und sich deshalb eine Prüfung dieser Anspruchsvoraussetzung durch den Rentenversicherungsträger erübrige. Für die weiteren Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben vom 15.09.2017 Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2017 wies der Kreis Herford den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte er die Rechtsauffassung der Beklagten.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihre Anliegen weiter und wiederholt ihre Rechtsauffassung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2017 zu verurteilen, ihr gemäß Antrag vom 28.07.2017 ergänzende Grundsicherung bei Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch sie wiederholt ihre Rechtsauffassung.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2017 ist rechtswidrig und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, ist gemäß § 41 Abs.1 SGB XII auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten.

Leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung nach Abs. 1 ist gemäß § 41 Abs. 3 SGB XII, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsge...

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