Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen der Jugendhilfe für seelisch behinderte Kinder oder Jugendliche und der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder oder Jugendliche
Orientierungssatz
1. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen der Jugendhilfe für seelisch behinderte Kinder oder Jugendliche und der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder oder Jugendliche anhand des § 10 Abs. 4 SGB VIII (juris: SGB 8) ist allein die Frage, ob der Hilfeempfänger auch geistig behindert ist.
2. Bei einem Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung die Zuständigkeit danach zu bestimmen, ob das Verhalten und die daraus notwendige Heimunterbringung auf der geistigen oder der seelischen Behinderung beruht, ist schon nur mit erheblichem Aufwand möglich und für eine formale Zuständigkeitsabgrenzung, die eine andere Behördenzuständigkeit und sogar eine andere Rechtswegzuständigkeit auslöst (Ansprüche nach dem SGB VIII (juris: SGB 8) sind vor dem Verwaltungsgericht einzuklagen) nicht zeitnah durchführbar.
Tenor
Der Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 19.08.2011 Eingliederungshilfe in Form der stationären Betreuung in der Einrichtung T nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Abgrenzung zur Jugendhilfe.
Der am 00.00.1984 geborene Kläger leidet an einer ungeklärten Hirnfunktionsstörung mit beeinträchtigter Körperorientierung, Wahrnehmungsstörungen sowie Störung der sinnvollen Anordnung von Einzelbewegungen (Dyspraxie) und weist autistisch anmutende Verhaltensmuster auf. Bei dem Kläger wurde im Rahmen ärztlicher Untersuchungen ein Intelligenzquotient (IQ) von 70 ermittelt. Er lebt in der Einrichtung T, wo er seit 8 Jahren in dem dort vorhandenen Betrieb des Obsthofes tätig ist. Mit Bescheid vom 14.08.2003 wurde dem Kläger seinerzeit durch den Beklagten, dort durch dessen Abteilung Arbeit und Soziales zunächst Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG gewährt. In dem Bescheid heißt es, es handle sich um keine rentengleiche Dauerleistung, die Gewährung verlängere sich jedoch stillschweigend von Tag zu Tag, solange die Voraussetzungen erfüllt seien. Mit Bescheid vom 31.07.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger durch sein Jugendamt die laufende Gewährung von Eingliederungshilfe nach den §§ 41, 35a Abs. 2 Nr.4 SGB VIII ab dem 01.08.2006. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig, die dort unter dem Aktenzeichen S 3 A 335/06 geführt wurde. In einem Rechtsstreit vor der 16. Kammer des Sozialgerichts Detmold, der auf einer Abtrennung des Klageantrags auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII aus dem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren S 3 A 335/06 des VG Braunschweig gegen den Bescheid vom 31.07.2006 beruhte, schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich: "1. Der Beklagte erklärt sich bereit, über die Einstellung der Sozialhilfegewährung mit Wirkung vom 31.07.2006 gegenüber dem Kläger des hiesigen Verfahrens rechtsmittelfähig zu entscheiden." Unter Ziffer 2 - 4 folgen Regelungen zu den Kosten und zur Erledigung des Rechtsstreits.
Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 02.09.2010 teilte der Beklagte durch sein Amt für Arbeit und Soziales mit, die durch Bescheid vom 14.08.2003 bewilligten Leistungen würden zum 01.08.2006 eingestellt. Gemäß § 2 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer erforderliche Leistungen von anderen, insbesondere Trägern der Sozialhilfe erhalte. Da ab dem 01.08.2006 das Jugendamt seine Zuständigkeit bejaht und Leistungen bewilligt habe, finde hier der Nachrang der Sozialhilfe Anwendung. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 zurückgewiesen wurde. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Dagegen erhob der Kläger die unter dem hiesigen Aktenzeichen S 2 SO 39/11 geführte Klage. Die Eingliederungshilfe sei hier nach den Bestimmungen des SGB XII und nicht nach den Regeln über die Jugendhilfe im SGB VIII zu erbringen. Nach den Bestimmungen des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gingen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Dabei sei nicht auf den Schwerpunkt der Behinderung abzustellen. Insbesondere komme es bei Mehrfachbehinderungen nicht darauf an, welchem Behinderungsanteil ein Übergewicht zukomme.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm in der Zeit vom 01.08.2006 bis zum 19.08.2011 Eingliederungshilfe in Form der stationären Betreuung in der Einrichtung T zu bewill...