Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung: Ansprüche auf Opferentschädigungen wegen erlittener rechtswidriger Angriffe auf die Gesundheit während eines Kinderheimaufenthaltes. Anforderungen an die Glaubhaftmachung der erlittenen Schädigungen. Glaubhaftmachung bei krankheitsbedingtem Unvermögen eines mutmaßlichen Opfers zur Aussage vor Gericht
Orientierungssatz
1. Eine in den 1950er und 1960er Jahren als Kind erlittene körperliche Züchtigung kann in den Auffassungen der damaligen Zeit nicht in jedem Fall als rechtswidrige Körperverletzung angenommen werden, selbst wenn sie unter Benutzung eines Schlaggegenstandes (hier: Rohrstock) erfolgte. Deshalb begründet allein der Umstand, eine solche körperliche Züchtigung erlitten zu haben, für sich genommen noch keinen Anspruch auf Opferentschädigung. Insoweit bedarf es zur Begründung eines solchen Entschädigungsanspruchs die Aufklärung der Umstände im Einzelfall.
2. Steht für den Nachweis einer erlittenen vorsätzlichen rechtswidrigen Gewalttat (hier: körperliche und sexuelle Misshandlung während eines Kinderheimaufenthaltes) nur die Aussage des mutmaßlichen Opfers zur Verfügung und ist der Betroffene aufgrund psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen nur eingeschränkt zu einer Aussage fähig, bedarf es für die Glaubhaftmachung der erlittenen Gewalttat der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens, mit dem insbesondere die Aussageentstehungsgeschichte bewertet und eine Analyse der weiteren inhaltlichen Entwicklung der Aussage vorgenommen werden müssen. Kann ein solches Gutachten aufgrund der gesundheitsbedingt fehlenden Aussagefähigkeit des Betroffenen nicht eingeholt werden, so muss das damit verbundene Erkenntnisdefizit zu Lasten des Betroffenen gehen.
3. Allein der Umstand, dass ein Betroffener wegen psychischer Beeinträchtigungen schwerbeschädigt ist, begründet für sich genommen noch nicht die Annahme, dass dies notwendig auf mögliche Gewalterfahrungen in der Kindheit zurückzuführen ist. Vielmehr ist auch in diesem Fall für die Ermittlung eines Anspruchs auf Opferentschädigung eine Abgrenzung zu möglichen alternativen bzw. ergänzenden Ursachenbeiträgen vorzunehmen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der am 00.00.1954 geborene Kläger beantragte im Dezember 2014 die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Dazu trug er vor, er sei seit seinem zweiten Lebensjahr im Heim untergebracht worden. Dort habe er Gewalt- und Missbrauchserfahrungen erlebt. Er sei in diversen Heimen/Psychiatrien gewesen. Täter seien verschiedene Erzieher/Mitarbeiter gewesen.
Als Folge leide er unter dissoziativen Störungen, psychogenen Anfällen, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Der Beklagte zog Unterlagen der Krankenkasse des Klägers, der IKK classic, bei, Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenrechtsakten des Versorgungsamtes T.
Am 00.00.2015 erteilte der Beklagte einen Bescheid, mit dem er feststellte, der Kläger habe keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger beantrage Versorgung nach dem OEG für die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung (dissoziative Störungen, psychogene Anfälle, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörung), die er nach seinen Angaben ab 1956 erlitten habe. Zur Begründung des Antrags habe er angegeben, dass er Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in diversen Heimen und Psychiatrien gemacht habe. Um den Tatablauf und die gesundheitlichen Folgen zu ermitteln, habe der Beklagte Arztberichte, die Schwerbehindertenakte und Unterlagen der LWL-Behindertenhilfe Westfalen beigezogen. All diese Beweismittel habe der Beklagte ausgewertet. Der Kläger leidet seit Jahren an einer Vielzahl von Erkrankungen. Er habe eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Auch wenn nachvollzogen werden könne, dass es dem Kläger nicht gut gehe, habe der Beklagte sich an die strengen Vorgaben des OEG zu halten. Es seien leider keine Beweismittel vorhanden, die die Taten nachwiesen oder konkretisierten. Eine detaillierte Schilderung der Tathergänge liege nicht vor bzw. es sei dem Kläger nicht möglich, eine solche Schilderung abzugeben. Dies sei nicht verwunderlich, da die Taten teilweise fast 60 Jahre zurück lägen. Es könne somit nicht zweifelsfrei festgestellt werden, was genau in der Kindheit des Klägers geschehen sei. Wenn Tatsachen nicht ausreichend bewiesen werden könnten, habe derjenige die Folgen zu tragen, der daraus ein Recht herleiten wolle (Grundsatz der objektiven Beweislast). Das bedeute, dass sich der fehlende Beweis für den Kläger nachteilig auswirke. Daher mü...