Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeldanspruch. Verpflichtung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen zur elektronischen Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse. Stichtag 1.1.2021. Entfallen der Meldeobliegenheit der Versicherten nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Seit dem 1.1.2021 sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren unmittelbar an die Krankenkasse zu übermitteln.
2. Ab diesem Zeitpunkt besteht für die Versicherten keine Meldeobliegenheit nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V mehr, soweit diese gesetzliche Verpflichtung reicht. Die Verspätung der Meldung führt nicht mehr zum Ruhen des Krankengeldanspruchs.
3. Dies gilt auch, soweit die technischen Voraussetzungen der Übermittlung (Telematikinfrastruktur) nicht zum Stichtag des 1.1.2021 geschaffen waren.
4. Der Stichtag des Beginns der Verpflichtung der zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten konnte nicht durch Vereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 295 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB V aufgeschoben werden.
5. Für die Berücksichtigung subjektiver Vorstellungen der Versicherten zur Inbetriebnahme des elektronischen Verfahrens oder zum Anschluss der Arztpraxis besteht kein Anknüpfungspunkt. Es kommt nicht darauf an, ob die Versicherten wussten, ob die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen bereits am System der elektronischen Übermittlung der Daten teilnahmen oder ob die technischen Voraussetzungen überhaupt generell bereits geschaffen waren.
Orientierungssatz
Az beim LSG Chemnitz: L 1 KR 40/22.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 3. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2021 verpflichtet, der Klägerin für die Zeiträume vom 4. bis zum 19. Januar 2021 und vom 22. bis zum 28. Januar 2021 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld für die Zeiträume vom 4. bis zum 19. Januar 2021 und vom 22. bis zum 28. Januar 2021 (insgesamt 23 Tage).
Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin ist in einem laufenden Arbeitsverhältnis beruflich gegen Entgelt beschäftigt. Seit dem 23. November 2020 war sie durchgehend wegen eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule arbeitsunfähig. Die Klägerin übersandte von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. P. (im Folgenden: Hausärztin) ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Beklagte, in denen jeweils u. a. die Diagnose "M50.90" (zervikaler Bandscheibenschaden, nicht näher bezeichnet) und als Beginn der Arbeitsunfähigkeit der 23. November 2020 ausgewiesen waren. Die Hausärztin nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil (LANR 002851101). Mitteilungen an die Beklagte erfolgten durch die Hausärztin nicht.
Für das Jahr 2020 lag der Beklagten zuletzt eine Krankschreibung bis zum 18. Dezember 2020 vor. Am 20. Januar 2021 gingen bei der Beklagten zwei von der Klägerin per Post übersandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Eine war am 18. Dezember 2020 ausgestellt und erstreckte sich bis zum 5. Januar 2021, die andere datierte vom 5. Januar 2021 und reichte bis zum 21. Januar 2021. Am 29. Januar 2021 traf bei der Beklagten eine weitere von der Klägerin elektronisch übersandte und durch die Hausärztin am 20. Januar 2021 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, bei der die voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis zum 29. Januar 2021 angegeben war.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab dem 4. Januar 2021 Krankengeld mit einem täglichen Auszahlungsbetrag von EUR 42,62 bei einem täglichen Brutto-Krankengeld von EUR 48,45 erhalte. Mit zwei weiteren Bescheiden vom 3. Februar 2021 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld für die Zeiträume vom 4. bis zum 19. Januar 2021 und vom 22. bis zum 28. Januar 2021 mit der Begründung ab, dass wegen verspäteter Vorlage der Krankschreibungen die Ansprüche zum Ruhen gekommen seien. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 25. Februar 2021. Die Krankenscheine habe sie rechtzeitig an die Beklagte übersandt. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2021 wies die Beklagte den Widerspruch wegen verspäteten Eingangs der Krankschreibungen zurück.
Mit ihrer am 28. Mai 2021 beim Sozialgericht Dresden erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie führt an, dass an ihrem Wohnort pandemiebedingt (COVID-19) die Geschäftsstelle der Beklagten zeitweise geschlossen gewesen sei. In der Pandemiezeit hätte die Beklagte für eine elektronische Übermittlung der Daten an die Krankenkasse nach § 295 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (im Fo...