Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme von Fahrkosten zur ambulanten ärztlichen Behandlung. Verfassungsmäßigkeit der Krankentransport-Richtlinien
Leitsatz (amtlich)
§ 8 Abs 2 der Krankentransport-Richtlinien (KrTRL) - wonach ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen voraussetzt, dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz aufweist, und dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist - verstößt auch dann nicht gegen höherrangiges Recht, soweit dies zur Folge hat, dass bedürftige Versicherte trotz krankheitsbedingter Notwendigkeit einer Fahrt von der Übernahme der damit verbundenen Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Versicherte, die nicht im Stande sind, für einen nicht anderweitig zu deckenden unabweisbaren Mehrbedarf in Folge krankheits- bzw behandlungsbedingter Fahrten aus eigener Kraft aufzukommen, können in diesen Fällen ergänzende Leistungen der Sozialhilfe oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende beantragen.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Fahrkosten zur ambulanten ärztlichen Behandlung in der C.-Klinik B. zu erstatten.
Der 1944 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger hatte sich im Oktober 2003 bei einem Fahrradsturz die rechte Hand verletzt. In der Folge entwickelte sich eine Sudeck'sche Reflexdystrophie mit erheblichen therapieresistenten Schmerzen und Steifigkeit im rechten Handgelenk, den Fingern, dem Ellenbogen und der Schulter sowie eine Kapsulitis mit Impingement der rechten Schulter. Der Kläger ist aus diesem Grund anerkannt als Behinderter mit einem Grad der Behinderung von 40 und bezieht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Am 12.06.2005 überwies der behandelnde Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. med. G. den Kläger zur Abklärung einer operativen Handgelenksrevision und Schultergelenksdekompression an das Muskuloskeletale Zentrum der C.-Klinik in B.
Am 05.07.2005 erkundigte sich der Kläger in der Geschäftsstelle Bautzen der Beklagten mündlich nach der Übernahme der Kosten für die Fahrt zur ärztlichen Vorstellung in B. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten habe er keinen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen oder einen Nachweis über eine Pflegestufe vorlegen können, woraufhin ihm bei der Vorsprache eine "allgemeine Information lt. Leistungsrecht" erteilt worden sei.
Gegen die darin liegende Ablehnung seines Leistungsbegehrens wandte sich der Kläger noch mit seinem Widerspruch vom selben Tag, der zusammen mit der Kopie eines Überweisungsschein vom 04.07.2005 bei der Beklagten am 07.07.2005 einging. Er selbst könne die Kosten der Fahrt aus dem ihm zur Verfügung stehenden Krankengeld von monatlich nur 327,00 EUR nicht aufbringen.
Am 11.07.2005 stellte sich der Kläger zunächst in bei Oberarzt Priv.-Doz. Dr. Dr. med. K. in der orthopädischen Ambulanz des Muskuloskeletalen Zentrums zur Diagnostik und Evaluation der Behandlung der Kapsulitis und des Impingementsyndroms an der Schulter vor.
Am 21.07.2005 - zwischenzeitlich hatte die Beklagte dem Kläger gegenüber in einem Telefongespräch am 14.07.2005 bestätigt, dass die Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme nicht vorlägen - suchte der Kläger die handchirurgische Sprechstunde bei der Oberärztin Dr. med. L. zur Untersuchung und Klärung des weiteren Vorgehens hinsichtlich des Morbus Sudeck auf.
An beiden Tagen ließ sich der Kläger im eigenen PKW von seiner Ehefrau nach B. fahren. Die gefahrene Strecke beziffert er mit 896 km.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005, der am 06.10.2005 abgesandt wurde, zurück. Gemäß § 60 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V (Krankentransport-Richtlinien [KrTrRL]) komme eine Übernahme von Fahrt- und Krankentransportkosten nur noch in besonderen Ausnahmefällen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in Betracht, namentlich wenn der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, dieses Therapieschema eine hohe Behandlungsfrequenz - ähnlich der bei Dialyse, Strahlen- oder Chemotherapie - über einen längeren Zeitraum - mindestens 6 Monate - aufweist und diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigen, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist...