Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige. nachträgliche Leistungszuständigkeit der Krankenkasse. Nichtgeltung der Ausschlussfrist nach § 111 SGB 10 bei Forderung des Sozialhilfeträgers auf Rückerstattung
Orientierungssatz
Erweist sich nachträglich die Krankenkasse auf Grund eines gesetzlichen Krankenversicherungsverhältnisses für die Krankenbehandlung eines Sozialhilfeempfängers als leistungszuständig, kann sie der Forderung des Sozialhilfeträgers auf Rückerstattung der ihr bereits nach § 264 Abs 7 SGB 5 gezahlten Erstattungen für die zwischenzeitliche Übernahme der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs 2 S 1 SGB 5 nicht die Ausschlussfrist des § 111 SGB 10 entgegen halten.
Nachgehend
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Aufwendungen in Höhe von 115.309,16 EUR, die der Kläger der Beklagten für die Krankenbehandlung von Frau A.R. und deren Söhnen I.R. und R.R. im Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 gemäß § 264 Abs. 7 Satz 1 und 2 SGB V erstattet hat, zurückzuerstatten.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III. Der Streitwert wird auf 115.309,16 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision ist zugelassen.
Tatbestand
Der klagende Landkreis begehrt als örtlicher Träger der Sozialhilfe von der beklagten Krankenkasse die Rückerstattung der Erstattungen, die er in den Jahren 2006 bis 2009 zum Ausgleich der Aufwendungen für die Krankenbehandlung der Leistungsberechtigten A.R. und deren Söhne I. und R.R. gezahlt hat.
Die Leistungsberechtigten bezogen bis zum 28.02.2002 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und vom 01.03.2002 bis zum 31.12.2004 Sozialhilfe. Die Absicherung gegen Krankheit gewährleistete die AOK Sachsen (nach Vereinigung mit der AOK Thüringen ab dem 01.01.2008: AOK PLUS, die Beklagte; fortan einheitlich als "Beklagte" bezeichnet).
Am 05.10.2004 beantragte die Leistungsberechtigte A.R. bei der SGB II-Arbeitsgemeinschaft R. Arbeitslosengeld II. Dabei gab sie an, mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein.
Vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 gewährte die SGB II-Arbeitsgemeinschaft der Leistungsberechtigten antragsgemäß Arbeitslosengeld II. Die Leistungsberechtigte A.R. war in dieser Zeit bei der Beklagten pflichtkrankenversichert, ihre Söhne I. und R.R. waren familienversichert.
Im Januar 2006 stellte die SGB II-Arbeitsgemeinschaft die Zahlung des Arbeitslosengeldes II mit Wirkung zum 01.01.2006 ein. Die Leistungsberechtigte beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt beim Kreissozialamt des Klägers. Dieser bewilligte ihr ab dem 01.01.2006 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung gemäß §§ 27 ff. SGB XII.
Die Absicherung im Krankheitsfall übernahm vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 gemäß § 264 Abs. 2 SGB V die Beklagte im Auftrage des Klägers. Die Beklagte rechnete die von ihr erbrachten Leistungen gegenüber dem Kläger quartalsweise ab, der die Aufwendungen nach § 264 Abs. 7 SGB V erstattete. Insgesamt beliefen sich die Erstattungen für die von der Beklagten verauslagte Krankenbehandlung der Leistungsberechtigten A.R. und deren Söhne I. und R.R. einschließlich der Verwaltungskostenpauschale gemäß § 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V auf 115.423,04 EUR.
Parallel hierzu beantragte die Leistungsberechtigte A.R. am 10.02.2006 bei der Beklagten die freiwillige Mitgliedschaft rückwirkend ab dem 01.01.2006. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21.04.2006 den Antrag auf freiwillige Krankenversicherung mit der Begründung ab, wegen aufgehobener Erwerbsfähigkeit sei der Vorbezug von Arbeitslosengeld II ab dem 01.01.2005 rechtswidrig gewesen. Die Leistungsberechtigte erfülle deshalb nicht die Voraussetzungen für die freiwillige Krankenversicherung.
Gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 21.04.2006 erhob die Leistungsberechtigte A.R. am 24.05.2006 Widerspruch.
Mit nachstehendem Schreiben vom 02.06.2006 meldete der Kläger am 07.06.2006 Erstattungsansprüche bei der Beklagten an:
"Anmeldung eines Erstattungs-/Ersatzanspruches
zu Geschäftszeichen: VSNR ...
Frau A.R., geboren am …
wohnhaft …,
erhält seit 01.01.2006 bis auf Weiteres
von hier Leistungen nach den Bestimmungen des SGB XII.
Aus den gegen den dortigen Leistungsträger bestehenden Ansprüchen des Hilfeempfängers wird hiermit gemäß § 102 SGB X in Verbindung mit § 114 SGB XII der Erstattungs-/Ersatzanspruch angemeldet und Ersatz der Aufwendungen aus den von Ihnen zu zahlenden Leistungen bis zur Höhe der Kosten der Sozialhilfe für den Hilfeempfänger selbst und bis zur Höhe der Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt, die gleichzeitig seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten und seinen minderjährigen unverheirateten Kindern gewährt wird, geltend gemacht.
Das bedeutet, dass Sie laufende Zahlungen an den Hilfeempfänger erst dann leisten können, wenn das Erstattungs-/Ersatzanspruchsverfahren abgeschlossen ist, wovon Sie unterrichtet werden.
Sie werden gebeten,
- vor Auszahlung einer laufenden Leistung oder der Nachzahlung an den Be...