Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Übernahme der Kosten eines Feuerwehreinsatzes für den Transport zum Rettungswagen. Bereitstellung der Leistungen nur nach Maßgabe eines gesetzlich definierten Leistungskataloges. Verfassungsmäßigkeit. Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs
Orientierungssatz
1. Die Kosten eines Feuerwehreinsatzes für den Transport eines des Versicherten zum Rettungswagen sind nur dann wegen eines Leistungsversagens der Krankenkasse ausnahmsweise durch diese zu übernehmen, wenn die Verrichtung zu der die Feuerwehr hinzugezogen wurde, grundsätzlich vom Rettungsdienst bzw Krankentransport mit eigenen Mitteln hätte durchgeführt werden können. Kann der Abtransport dagegen nicht mit der standardmäßigen Ausstattung und dem Personal des Rettungsdienstes bzw Krankentransportes bewältigt werden, liegt der Einsatz der Feuerwehr selbst dann außerhalb des versicherten Risikos, für das die Krankenkassen einzustehen haben, wenn der Versicherte krankheits- oder verletzungsbedingt auf die Bergung angewiesen war (Entgegen LSG Halle vom 17.6.2010 - L 10 KR 59/08).
2. Es ist mit Art 2 Abs 1 GG vereinbar, wenn die von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen nur nach Maßgabe eines gesetzlich definierten Leistungskataloges bereitgestellt werden (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 58; BVerfG vom 12.12.2012 - 1 BvR 69/09 = juris RdNr 8.
3. Zur Verzinsung eines Erstattungsanspruches nach § 13 Abs 3 S 1 SGB 5.
Tenor
1. Der Bescheid vom 26.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Gebühren für den Feuerwehreinsatz in Höhe von 154,00 EUR zu erstatten. Der Erstattungsbetrag ist ab dem 01.01.2011 nach § 44 Abs. 3 SGB I zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten eines Feuerwehreinsatzes, von Säumniszuschlägen und Mahngebühren aus der Gebührenforderung für den Feuerwehreinsatz sowie der Kosten eines gegen den Gebührenbescheid gerichteten Vorverfahrens.
Die 1960 geborene Klägerin wohnt in H. in einem modernisierten Plattenbau aus den 1970er Jahren (Typ WBS 70). Am Ostersonntag, dem 04.04.2010 erlitt die nach eigenen Angaben zirka 75 kg wiegende Klägerin daheim einen Bandscheibenvorfall mit starken einschießenden Schmerzen. Es gelang ihrem Ehemann, sie ins Bett zu bringen, wo sie bewegungslos verblieb. Der Ehemann informierte die Rettungsleitstelle, die einen Notarzt und einen Rettungswagen entsandte. Der Notarzt wies die Klägerin in das Klinikum P. ein. Um die Klägerin aus ihrer Wohnung in den Rettungswagen zu verbringen, forderte der Notarzt über die Rettungsleitstelle die Feuerwehr als Tragehilfe an. Die Freiwillige Feuerwehr der Stadt H. rückte daraufhin mit einem Löschfahrzeug mit neun Mann Besatzung sowie einem Drehleiterwagen mit weiteren drei Mann Besatzung zur Wohnung der Klägerin aus. Die Klägerin wurde anschließend, wie es im Einsatzbericht der Feuerwehr heißt, "mit Tragetuch durch Treppenhaus zum RTW geschafft". Nach der Erinnerung der Klägerin sei den Rettungskräften der Abtransport mit der Trage durch das Treppenhaus wegen der Länge der Krankentrage einschließlich der Griffe von zirka zwei Metern problematisch erschienen.
Mit einem auf den "16.03.2010" datierten und am 22.04.2010 zur Post aufgegebenen Gebührenbescheid setzte die Stadt H. gegenüber der Klägerin einen Betrag von 154,00 EUR als Gebühr für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr fest. Als Rechtsgrundlage ist in der Begründung des Bescheides § 69 Abs. 3 Nr. 4 SächsBRKG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. 4 der FF-Kostensatzung der Stadt H. angegeben (technische Hilfeleistung im Interesse der Klägerin). In Ausübung ihres Ermessens habe die Stadt H. der Klägerin nur die Kosten für den Einsatz des Löschfahrzeuges nebst Besatzung, nicht aber die Kosten des Drehleiterwagens in Rechnung gestellt.
Gegen den Gebührenbescheid erhob die Klägerin mit am 30.04.2010 bei der Stadt H. eingegangenem Schreiben vom 28.04.2010 Widerspruch, den sie damit begründete, nicht sie habe die Feuerwehr gerufen, sondern der Notarzt. Sie sei zurechnungsfähig gewesen und habe nicht um Hilfe gebeten.
Darüber hinaus beantragte die Klägerin am 21.05.2010 durch kommentarlose Weiterleitung des Gebührenbescheides der Stadt H. an die Beklagte sinngemäß die Erstattung der ihr in Rechnung gestellten Gebühren des Feuerwehreinsatzes. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26.05.2010 ab. Einsätze der Feuerwehr seien gemäß § 69 Abs. 1 SächsBRKG unentgeltlich, soweit nicht § 69 Abs. 2 und 3 etwas anderes bestimme. Das bedeute, dass grundsätzlich die Gemeinde als Aufgabenträger der Feuerwehr die Kosten für Einsätze zu tragen haben, es sei denn es liege eine der Ausnahmen nach § 69 Abs. 2 oder 3 SächsBRKG vor. Eine solche Ausnahme sei jedoch nicht ersichtlic...